Geschichte der Krefelder Juden unter einem Dach
Die Neue Synagoge in Krefeld wurde 2008 eingeweiht. Darin finden sich auch Elemente aus den 1938 zerstörten Gotteshäusern der Stadt.
Krefeld. „Als Kind habe ich Synagogen brennen sehen — jetzt habe ich die Chance, beim Wiederaufbau zu helfen.“ Mit diesem Satz begründete der Krefelder Rechtsanwalt Kurt Kähler sein Engagement für die Jüdische Gemeinde. 70 Jahre mussten die Krefelder Juden ohne eigenes Gotteshaus auskommen. Die vormals fünf Synagogen der Stadt waren bei den Novemberpogromen 1938 zerstört worden. Kähler gründete die nach dem jüdischen Arzt benannte Dr.-Isidor-Hirschfelder-Stiftung, die Anfang der 2000er Jahre den Bau der Neuen Synagoge an der Wiedstraße in die Hand nahm. Mit verschiedenen Elementen wurde die Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Krefeld in der Neuen Synagoge unter einem Dach vereint.
Das erste Element findet sich an der unscheinbaren Fassade des Hauses. In den Sandstein wurde die Inschrift der Synagoge, die früher an der Petersstraße stand, übernommen. „Herr, ich liebe deines Hauses Stätte und den Ort, wo deine Herrlichkeit thront“, steht dort auf Hebräisch und Deutsch.
Im Inneren folgt das nächste Zitat aus der alten Synagoge in Stadtmitte. Durch bunte Fenster fällt das Sonnenlicht warm in das Foyer. Sie sind ein besonders wertvolles Element. „Es sind authentische Repliken der Fenster der Synagoge an der Petersstraße“, sagt Michael Gilad, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Krefeld. Die Pläne des Künstlers Thorn Prikker, der sie entworfen hatte, waren im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum aufbewahrt. Die Firma, die die alten Fenster hergestellt hatte, gab es noch — sogar Originalmaterial war noch vorrätig.
Oben auf einer Empore unter einem großen Davidstern befindet sich eine Art Museum mit verschiedenen Gegenständen, die der Gemeinde übergeben wurden. Darunter sind auch Überbleibsel der alten Linner Synagoge. Zwei große Steinkugeln, die einmal auf der Spitze der Säulen des Gebäudes standen, sind hier ausgestellt. Als das Gelände neu bebaut werden sollte, wurde außerdem der Grundstein der dortigen, ehemaligen Synagoge gefunden. Auch er hat hier einen neuen Platz gefunden.
Das Sonnenlicht von draußen taucht die kleine Ausstellung in ein angenehm warmes Licht. Einerseits durch die Buntglasfenster, andererseits durch viele kleine Dreiecke, die mit Alabaster verkleidet sind und sich im Ganzen zu Davidsternen zusammenfügen.
Der große Stern unter der Decke hat übrigens nicht nur symbolischen Wert, sondern auch eine Funktion. „Hier haben wir eine Zwischendecke herausgenommen. Der Stern stützt die Seitenwände“, sagt der Architekt Klaus Reymann. Durch das Foyer hindurch tritt man in den Versammlungsraum, den Kurt-Kähler-Saal. Dort finden regelmäßig Konzerte und Veranstaltungen statt. Seitlich davon befinden sich ein Café und eine koschere Küche — gemeinsam bildet der Bereich den „Ort der Begegnung“, der neben dem „Ort des Lernens“ und dem „Ort des Betens“ üblicherweise Teil jüdischer Gemeindezentren ist.
Das Areal, auf dem sich die Synagoge befindet — und auf dem die Gemeinde auch vor dem Neubau schon einen Raum angemietet hatte — war vorher eine Fabrik. Das Gelände liegt fast quadratisch, zwischen den umgebenden Straßen. Die Synagoge selbst muss nach Osten gerichtet sein und ist daher knapp 17 Grad „schief“ eingefasst. Ein Innenhof spendet Licht für den Komplex. Als Herzstück des Zentrums lässt sich die Synagoge rundherum umgehen.
Im südöstlichen Eck des Gebäudes, am Kopf der Synagoge befindet sich die ruhigste Ecke des Gebäudes, wie der Architekt sagt. Und das nicht ohne Grund. Auf einer schlichten Glaswand sind 1250 Namen vermerkt — die Namen derer, die während der NS-Zeit aus der Region verschleppt und ermordet wurden. „Die Namen verschwimmen bewusst auf dem Glas“, sagt Reymann. Es sollte keine Richtung zwischen den Namen entstehen — ein Loslassen von Struktur, vor allem von weltlichen.
An dieser Seite des Gebäudes ist ein weiteres historisches Element verbaut. Aus der Linner Synagoge sind zwei der Originalfenster erhalten — in der Ostwand der Synagoge haben sie einen neuen Platz gefunden.
Betritt man den Gebetsraum, fällt die helle Atmosphäre durch das warme Ahornholz der Sitzbänke sofort auf. Sie brachte bei der Eröffnung auch den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zum Schweigen, wie sich Klaus Reymann erinnert. „Ihr habt mich zum Sprechen eingeladen, doch jetzt möchte ich lieber schweigen“, habe er gesagt
An der Kopfseite stehen zwei große Säulen aus Granit, dazwischen der Schrein mit „unserem Heiligsten“, sagt Gilad. Dort werden die Thorarollen aufbewahrt. Eine der Rollen habe er selbst aus Jerusalem geholt. Die anderen seien schon lange im Besitz der Gemeinde — woher sie kommen, ist nicht mehr bekannt. Hinter dem Schrein zieht die mit Dreiecken in hellen Blau- und Gelbtönen bemalte Betonwand die Blicke auf sich. Bei näherem Herantreten fallen noch Pinselstriche und Bleistiftlinien auf. „Zwei Maler haben zweieinhalb Monate an dieser Wand gemalt“, sagt Reymann. Die einzelnen Dreiecke stehen für die Gemeindemitglieder und fügten sich immer wieder zu größeren Davidsternen zusammen.
In der Mitte vor Thoraschrein befindet sich die Bima, eine kleine Bühne mit großem Tisch, auf dem die Thorarolle ausgebreitet wird, um im Gottesdienst daraus vorzulesen. Wichtig war dabei, dass die Bima aus dem ganzen Raum gut sichtbar ist. Da diese Gemeinde orthodox ist, sitzen Männer und Frauen im Gottesdienst getrennt. Die Frauen finden ihren Platz auf einer Empore eine Etage höher.
Architekt Reymann ist selbst kein Jude. Er ist Mennonit. „Die Freundschaft zwischen Juden und Mennoniten hat eine lange Geschichte“, weiß Michael Gilad. Sogar die „Verpflichtung“ Reymanns als Architekten für die Synagoge hatte also einen gewissen, geschichtlichen Symbolwert.