Großes Kunstprojekt am Düsseldorfer Hauptbahnhof startet

„Von fremden Ländern in eigenen Städten“ nennt Markus Ambach sein Projekt am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Am Samstag ist der Auftakt.

Foto: MAP

Düsseldorf. Bahnhofsviertel liegen oft mitten im Stadtzentrum auf gigantischen Flächen, die jetzt frei werden. Die Paketpost hat sich aus Düsseldorf verabschiedet, die Bundesbahn vom Döppersberg in Wuppertal. In der Regel übernehmen Investoren die Immobilien. Für Künstler wird es dann eng, denn im Bauboom werden ihre Hinterhöfe zu schicken Lofts umgewidmet, die sie zumindest in Düsseldorf nicht mehr bezahlen können. Ihnen bleibt nur noch der öffentliche Raum übrig, wenn er nicht gleichfalls von Werbeträgern vollgestellt wird.

Nun haben sich in der Landeshauptstadt Institute wie Schauspielhaus, Tanzhaus, Literaturbüro, Forum Freies Theater und Bahnhofsmission neben unzähligen Künstlern zusammengetan. „Von fremden Ländern — in eigenen Städten“ nennt sich das Großprojekt. Mit 18 Standorten kommt es den Skulpturprojekten Münster sehr nahe. „Kaspar König und ich kämpfen gemeinsam um den öffentlichen Raum“, so der Düsseldorfer Macher Markus Ambach.

Ambach ist berühmt für interdisziplinäre Kunst- und Kulturprojekte. Der Meisterschüler von Christian Megert firmiert seit 2009 seinen Einmannbetrieb unter MAP, der Abkürzung für Markus Ambach Projekte. Unter diesem Label initiiert und managt er große Vorhaben, die er mit Künstlern gemeinsam ausheckt. Seine größte Unternehmung reichte von der A40 am Duisburger Kaiserberg über das Rhein-Ruhr-Zentrum Mülheim und Essen bis zum Westfalendamm in Dortmund. Damals war der Projektträger die Kulturhauptstadt Ruhr 2010.

Jetzt hat er eine GmbH gegründet, denn er arbeitet mit einem Etat von 700 000 Euro. Der größte Finanzier mit 180 000 Euro ist die Kunststiftung NRW, gefolgt von der Stadt Düsseldorf mit 170 000 und dem Land mit 100 000 Euro. Das Schauspielhaus hat die große, über 300 Meter reichende Arbeit von Katharina Sieverding an der Fassade seines Interim-Spielorts Central mitfinanziert. Generalintendant Wilfried Schulz lobt das kommunikative Projekt, an dem er bereitwillig teilnimmt.

Katharina Sieverding revanchiert sich mit einem Bilderfries ihrer hochpolitischen Arbeiten. Da taucht der nordkoreanische Machthaber Kim-Jong-un, der letzte kommunistische Diktator, neben einem Konsumtempel auf. Wer auf den Flixbus wartet, kann ihre Bilder zum Geistes-, Wirtschafts- und Rechtsleben auf der Fassade der Interimsspielbühne enträtseln. Passanten entdecken eine balancierende Frau und im Kontrastprogramm dazu den Bildtext „Die Pleite“. Auch Tochter Pola Sieverding macht mit, sie lädt ins längst verflossene Boxermilieu noch vor dem „Bahndamm“.

Ambach macht Dinge möglich, die ein Museum nur mit Umbauten und einer Menge Geld leisten könnte. Unverkrampft kommuniziert er mit den Künstlern, lässt Konkurrenz zu und bündelt doch alles. Sie alle wissen, wie den Architekten der 1980er Jahre in diesem Areal jedes menschliche Maß verlorengegangen ist. Sie finden dennoch ihre Plätze.

Andreas Siekmann, der bei jedem Skulpturprojekt in Münster mitmischt, hat sich den lauschigen Platz im Marokkaner-Viertel ausgesucht, das durch einen unverhältnismäßig großen Polizeieinsatz in Misskredit geraten ist. Dort hat er auf einer Hebebühne Wahlkabinen gleichsam in die Luft verlegt, wo keiner hinkommt. Der politisch aktive Künstler will auf jene Einwanderer hinweisen, die auch nach 30 Jahren am Ort kein Wahlrecht haben.

Der amerikanische Konzeptkünstler John Miller persifliert das „Gelbe Band der Sympathie“, das Logo der Post, durch ein Textzitat des Situationisten Guy Debord, der das planlose Schlendern durch die Stadt propagiert.

Christian Odzuck ist ein Utopist, der Fragmente von Abrissgebäuden verarbeitet, aber diesmal Probleme hat. Sein 30 Meter hoher Turm, von der Firma Lühn-Bau weitgehend finanziert, war für einen Standort gedacht, unter dem sich ein vergessener Tunnel befindet. Jetzt müssen Statiker zunächst einmal die Standfestigkeit der Decke prüfen.

Noch nicht installiert ist der neue Beulenmann von Paloma Varga Weisz, der auf das Bahnhofs-Vordach kommt. Von dort wird er in die Luft schauen, denn der Boden unter seinen Füßen ist längst mit Imbissbuden und Leihfahrrädern zugestellt.

In einer ehemaligen Kneipe verkauft die Documenta-Künstlerin Ines Doujak eine neue Mode-Kollektion, in der das merkantile Projekt „Neue Seidenstraße“ der chinesischen Regierung ironisch unter die Lupe genommen wird. Manuel Graf will bei Einbruch der Dunkelheit die monströsen Aufbauten hinter dem Bahnhof ins Milieu von Tausendundeine Nacht verwandeln. Dafür werden die Betonbauten ins Milieu der persischen 4-Iwan-Moschee animiert.

Das größte Kulturprojekt in der Düsseldorfer Kunstmetropole ist nur möglich, indem die gesamte Szene mit viel ehrenamtlichem Engagement mitmacht, von der Bahnhofsmission mit ihren Wunderkammern bis zum Hotel Nikko, dem Vorreiter des japanischen Viertels, wohin Andreas Gurskys Meisterschülerin Isabella Fürnkäs bittet. Die Studenten Mira Mann und Sean Mullan organisieren gar Reisen in die Imagination.

Zwei Cocktailbars, ein afrikanischer Frisiersalon, ein Waschsalon, eine Table-Dance-Bar, ein Hamam, ein Polizeihauptkommissar, das museale Pfeifen- und Zigarrenhaus Linzbach und die Konditorei Byzantio machen mit, letztere mit einer Extra-Torte. Auf dass Fremde und Einheimische zu neuen Freunden werden.