Karnevalswagen fährt für die Freiheit

Wohl zum ersten Mal in der deutschen Karnevalsgeschichte nimmt eine jüdische Gemeinde am „Zoch“ teil. Ein Gespräch über Heine, Humor und koschere Kamellen.

Foto: Judith Michaelis

Mit einem eigenen Wagen beteiligt sich die Jüdische Gemeinde Düsseldorf in diesem Jahr beim Rosenmontagszug mit. Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte des deutschen Karnevals, das haben die Recherchen des Gemeindedirektors Michael Szentei-Heise ergeben. Dem wachsenden Antisemitismus die Stirn zu bieten, ist ein wichtiger Grund für das Engagement. Ein Zeichen zur Zugehörigkeit zu Düsseldorf zu setzen, ein weiterer. Zu guter Letzt will man Heinrich Heine feiern, und so wird aus drei respektablen Beweggründen ein Plädoyer für die Freiheit, womit wir wieder beim Kern des Karnevals wären. Und der begeistert Szentei-Heise seit Kindertagen, wie er im Interview ausführt.

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Herr Szentei-Heise, wissen Sie schon, in welcher Verkleidung Sie auf dem Wagen mitfahren?

Michael Szentei-Heise: Vermutlich als mittelalterlicher Dichtertyp mit Perücke. Mit der Detailplanung starten wir voraussichtlich in der kommenden Woche.

Werfen Sie koschere Kamelle?

Szentei-Heise: Selbstverständlich. Kamelle ohne Gelatine oder andere tierischen Bestandteile, also letztlich vegane Kamelle.

Lag Heine als Motiv für den Wagen auf der Hand?

Szentei-Heise: Er ist der Auslöser für unsere Beteiligung am Karneval. Beim letzten Rosenmontagszug fuhren Diakonie und Evangelische Kirche an mir vorbei und feierten Luther, dann kam die Karnevalsgesellschaft „Kleine Leute“ mit einem Heine-Wagen und ich dachte: Wieso klauen die uns unseren Heine? Da sollten wir eingreifen.

Wie haben Sie die Gestaltung des Wagens mit Jacques Tilly diskutiert?

Szentei-Heise: Als wir Jacques Tilly angesprochen haben, war er sofort Feuer und Flamme. Wir waren uns einig, dass ein streitbarer und kritischer Geist wie Heine bestens darauf verweisen kann, was wir heute in der Politik brauchen, da wir es mit Leuten wie Erdogan und Orbàn zu tun haben. Als Tilly den ersten Entwurf vorlegte, riet er jedoch sogleich davon ab. Es gebe beim Zug viele Bezugspunkte zu Despoten, da könnte unser Wagen untergehen, wenn er dasselbe Thema verfolgt. Das leuchtete uns und wir entschieden uns stattdessen für eine positive Besetzung.

Heine wird mit Kippa dargestellt, kehrt also quasi zurück in den Schoß der Gemeinde. Er hatte sich ja zu Lebzeiten protestantisch taufen lassen müssen.

Szentei-Heise: Dazu will ich Ihnen eine Geschichte erzählen: In der vergangenen Woche habe ich zufällig einen Sketsch aus den 1960er Jahren gesehen. Der geht so: Zwei Frauen, die in der DDR leben, unterhalten sich. Sagt die eine zur anderen: Meine Mutter und mein Vater sind Rheinländer, ich also auch. Sagt die andere. Kann gar nicht sein, du bist doch in Leipzig geboren. Worauf die erste kontert: Wenn eine Katze in einem Fischgeschäft Junge kriegt, sind das noch lange keine Heringe. Mit Heine verhält es sich doch so: Er musste sich taufen lassen, um in einer antisemitischen Umgebung Karriere machen zu können.

Sind Sie Karnevalist oder engagieren Sie sich für den Wagen, weil Sie ihn für eine gute Sache halten?

Szentei-Heise: Beides. Ich bin seit meiner Schulzeit karnevalistisch aktiv, ich bin ja in Benrath aufs Schlossgymnasium gegangen und habe immer gefeiert. Manchmal auch derbe. Es gab Zeiten, da war ich von Altweiber bis Veilchendienstag unterwegs und habe nicht mehr als acht Stunden geschlafen. Heute gehe ich es allerdings gemäßigter an und besuche etwa die Sitzungen der Düsseldorfer Jonges oder der Awo.

Ist karnevalistische Vergnüglichkeit nicht zu platt für tiefsinnigen jüdischen Humor?

Szentei-Heise: Wir können auch platten Karnevalshumor mit jüdischem Intellekt füllen.