Klavierspiel zwischen Ruhe und Feinschliff
Pianist Grigory Sokolov gehört zur Weltspitze. In der Tonhalle bewies er einmal mehr, warum das so ist.
Der Russe Grigory Sokolov (67) gehört noch immer zu den größten Pianisten der Welt. Er zählt mittlerweile zu den Altmeistern, die nicht mehr mit Virtuosität blenden, sondern in innere Regionen der Musik vordringen. Nun tat Sokolov dies beim Piano Solo in der Tonhalle. Aufs Programm setzte der Pianist Sonaten von Joseph Haydn und die vier späten Impromptus Franz Schuberts, also keine effektvollen Bravourstücke, sondern Musikwerke, die ohne große Girlanden auskommen und dennoch beeindrucken — vorausgesetzt der Interpret kann die Feinheiten des Notentextes hörbar machen.
Und Sokolov kann. Selten hört man Haydn mit so viel Feinschliff, polyphoner Genauigkeit, bei der noch jedes i-Tüpfelchen groß rauskommt. Haydn ist ja nicht der brave Klassiker, für den ihn vor allem Romantik-Liebhaber manchmal halten. Die Musik besitzt eine Mischung aus Verspieltheit und trockenem Humor. Auch in den drei Moll-Sonaten, die Sokolov spielt, stecken witzige Wendungen in der Themenverarbeitung. Schwache Pianisten lassen da Haydns Geistesblitze manchmal unbemerkt bleiben, bei Sokolov formieren sie sich geradezu zu einem Geistes-Gewitter.
Bereits der Anfang der eröffnenden g-Moll-Sonate (Hoboken-Verzeichnis XVI:44) lässt erfreut aufhorchen: Melodie und Kontrapunkte des g-Moll-Themas erscheinen wie illuminiert und blitzblank herausgeputzt. Nicht eine Note geht hier unter. Durch diese Klarheit entfaltet Haydns intelligente Satzbildung ihre ganze Eloquenz. Nun besitzt Haydns Musik zwar nicht so viel Charakter wie Beethovens oder romantischer Komponisten, denn sie frönt dem reinen Spiel mit Tönen. Und doch scheinen sich auf geheimnisvolle Weise kluge Gedanken dahinter zu verbergen.
Schubert komponierte anders als die Wiener Klassiker, obwohl er aus dieser Tradition stammt. Gefühle und Leidenschaften werden nun groß geschrieben. Das gilt beispielsweise für die Impromptus. Sokolov neigt aber beim Klavierspiel nicht zum Überschwang. Er nimmt sich Zeit und Ruhe, wählt gemächliche Tempi, haucht dem Ganzen aber trotzdem sehr viel Leben ein. Langsamkeit steht ja nicht immer im Gegensatz zu Aktivität. Und auch diese Schubert-Stücke pulsieren lebhaft, ohne dass Sokolov auf Gaspedal drücken muss. Im vierten und letzten Impromptu, f-Moll, stellt der Pianist das dramatische Element eindrucksvoll heraus, ohne äußerlich zu forcieren. Das Publikum applaudiert hingerissen und erklatscht sich mehrere Zugaben, darunter abermals Schubert, aber auch Chopin und Stücke aus der Barockzeit.