Anders J. Dahlin: Ein begehrter Stimmbandakrobat
Der 35 Jahre alte Künstler Anders J. Dahlin singt die Titelpartie in der Barock-Oper „Platée“ von Jean-Philippe Rameau.
Düsseldorf. Wenn Götter auftauchen, muss man schon mal in Deckung gehen. Kaum erscheint der eitle Jupiter mit Sonnenflammen auf dem Kopf, heißt es für die Sumpfnymphe Platée ‚Kopf einziehen’ — auch wenn sie ihn inbrünstig liebt. Sänger Anders J. Dahlin in grünem Rock hält bei der Probe schlotternd ein Köfferchen vors Gesicht und reißt dann die Augen auf, als Jupiter einen Nahblick wagt.
Das ist beste Comedy, nur nicht aus Hollywood, sondern vom Hof Ludwig XIV. Die Oper setzt ihren Zyklus mit Werken des Komponisten Jean-Philippe Rameau fort und bringt ab 28. Januar „Platée“ auf die Bühne. Die Titelpartie singt Anders J. Dahlin, der bereits in der vergangenen Saison in Rameaus „Les Paladins“ mitwirkte.
Der lang aufgeschossene Schwede ist zwar alles andere als eine kleine Morastsirene. Doch auf der Bühne verwandelt er sich glaubhaft in ein schüchternes Mädchen, wenn Sami Luttinen als Jupiter ihn umwirbt. Oder in eine ängstliche Mimose, wenn Sylvia Hamvasi als La Folie lachend ihre Opfer niederstreckt.
Es ist Anders Dahlin wichtig, dass er dies ohne Anflug von Travestie glaubhaft spielt. Für den 35-jährigen Sänger ist Platée eine ernst zu nehmende junge Frau, die leidenschaftlich liebt; die aber zugleich sehr auf sich bezogen, sogar autistisch sei, wenn sie ihre Interessen verfolgt.
Eine zwiespältige Figur also, der übel mitgespielt wird. Inszeniert doch die Götterbagage in Rameaus 1745 uraufgeführter Komödie eine Hochzeit zwischen Nymphe und Jupiter, um dessen Ehefrau Juno von ihrer Eifersucht abzulenken.
Für Anders J. Dahlin ist es bereits die zweite Inszenierung dieser Oper, eine dritte folgt demnächst in Amsterdam. Der Sänger ist derzeit heiß begehrt, weil er das Fach des seltenen haut-contre singt. Also ein waschechter Tenor ist, mit Tiefe und sehr großer Höhe, die er mit der Bruststimme erreicht, während Countertenöre dazu die Kopfstimme benutzen.
Wer nun einen mimosenhaften Stimmbandakrobaten erwartet, sieht sich getäuscht. Dahlin sitzt im kurzärmligen T-Shirt im Opernfoyer beim Gespräch. Vielleicht liegt es ja daran, dass er mit Eltern und zwei Brüdern auf einem Bauernhof in der mittelschwedischen Kleinstadt Leksand aufgewachsen ist, wo heftige Minustemperaturen im Winter die Regel sind.
Das Außergewöhnliche seiner Stimme sei ihm schon nach der Schule klar gewesen, sagt er selbstbewusst. Und so hat er selbst entschieden, sich an Konservatorien und Akademien in Falun, Oslo und Kopenhagen zum haut-contre-Tenor ausbilden zu lassen.
Inzwischen ist Anders J. Dahlin auf Jahre hinaus ausgebucht und arbeitet an Opernhäusern von Paris bis Stockholm. Dass man ihn dabei auf die französische Barockoper festgenagelt, stört ihn nicht. Das sei eine Sache von Angebot und Nachfrage, die er als Musiker ausnutzt. Er sei schließlich noch jung.
Und dann schwärmt er von der Präzision und Detailgenauigkeit in Rameaus Musik, spricht von Tanzmusik mit Swing — und entschwindet in einer simplen Lederjacke in den Düsseldorfer Winter.