Ballett: Ein Störenfried führt Regie

Jörg Weinöhl, Tänzer der Rheinoper, bringt jetzt ein eigenes Werk auf die Bühne — nach Kleist.

Düsseldorf. Täglich dreht er Pirouetten, hundertfach. Auf der Bühne jedoch hängt Jörg Weinöhl nicht an dieser Virtuosität. Ihn interessieren vielschichtige Fragestellungen, die er feinsinnig in Bewegung verwandelt. Die Publikumslieblinge, anmutige Kreisel und raumgreifende Sprünge, haben zwar seine Wertschätzung, für sein Selbstverständnis als Tänzer jedoch braucht er sie nicht. Jörg Weinöhl mag es schräg, weniger gefällig.

Der 40-Jährige gehört zum Ensemble des Opernballetts und tanzt fast immer tragende Rollen: Er gibt den Störenfried im besten Sinne, den Kabarettisten, den zärtlichen Geliebten und den bösen Fischer. Und wenn Martin Schläpfer, Chefchoreograph der Rheinoper, ihn fragt, ob er sich vorstellen kann, einen Baum zu tanzen, dann tanzt Jörg Weinöhl eben einen Baum. „Je abwegiger, desto besser“, sagt er.

Zweimal kürten ihn Kritiker der Zeitschrift „balletttanz“ zum Tänzer des Jahres. 2009 schuf er dann seine erste Choreographie, „Das Wissen der Nacht“, und zurzeit bereitet der 40-Jährige sein zweites Werk vor: „Nicht ich — Über das Marionettentheater“. Das Stück ist angelehnt an Heinrich von Kleists Essay „Über das Marionettentheater.“ Darin beschäftigt sich der Dramatiker mit der Frage nach der Wahrhaftigkeit von Kunst und lässt einen Tänzer in einen philosophischen Dialog treten.

Für Weinöhl ist das eine Herausforderung. „Es ist heikel, wenn ich als Tänzer einen Tänzer spiele.“ Jedoch rückt er von dieser Sorge mehr und mehr ab, je tiefer er sich in die Lektüre begibt. „Bei dem Marionettentheater“, erklärt er, „handelt es sich um einen hochkomplexen Text, der eine Kunstauffassung erläutert, nicht den Tanz.“

Den Mut, die teils abstrakte Argumentation von Kleist auf die Bühne zu bringen, teilt er mit Isabel Mundry. Die Komponistin war an Weinöhl mit der Frage herangetreten, ob man nicht zum 200. Geburtstag Kleists gemeinsam eine Inszenierung entwickeln wolle. Seither arbeiten die beiden eng zusammen — und lesen Kleist.

Martin Schläpfer hat dem Tänzer vorübergehend freigegeben, damit genug Zeit für die Choreographie bleibt. „Ich muss mich auf neue Fragen konzentrieren. Etwa, wie lange eine Sequenz dauern soll. Wenn ich sonst auf der Bühne stehe, ist die Musik immer schon da.“ Allerdings wird er auch in seinem zweiten Stück selbst tanzen. „Das hat den Vorteil, dass ich nicht lange überlegen muss, was ich den Tänzern zumuten kann.“ Er lässt während der Proben eine Videokamera mitlaufen und schaut sich den Film hinterher an. Korrigiert, wenn nötig.

Jörg Weinöhl fühlt sich in der Doppelrolle als Choreograph und Tänzer wohl, und er sieht auch nicht die Notwendigkeit, sich eventuell aus Altersgründen auf nur eine der beiden Aufgaben zu konzentrieren. „Das Choreographieren ist für mich eine künstlerische Fragestellung, keine Richtung. Und 40 ist auch keine magische Grenze. Ich bin gerne Tänzer und habe früh erkannt, dass ich für meinen Körper gut Sorge tragen muss. Mein Glück ist, dass ich gut schlafen kann.“

Martin Schläpfer scheint Vertrauen in beide Leistungen zu haben. Obwohl er noch keine einzige Probe gesehen hat, hat er bereits das „Marionettentheater“ für die nächste Spielzeit ins Düsseldorfer Opernhaus eingeladen.

Ein prüfender Blick des Chefs vorab? Weinöhl hätte nichts dagegen. Im Gegenteil. „Ich würde es ihm gerne zeigen.“