Düsseldorfer Kultur Ballettabend: Über dem Tanz funkeln die Sterne

Ein Glanzstück in der Ära Martin Schläpfer ist der neue Ballettabend der Rheinoper. Die drei aufgeführten Werke bringen pure Freude.

Foto: Gert Weigelt

Düsseldorf. Hin und wieder streut Martin Schläpfer, Chefchoreograf des Balletts am Rhein, ein abendfüllendes Stück ein. Meist jedoch komponiert er wie jetzt auch einen dreiteiligen Abend, der den Reichtum von Tanz und Musik sichtbar macht. Hinter Schläpfers Kunstverständnis verbirgt sich das grundlegende Bedürfnis, ja nicht stehenzubleiben. Sein Publikum bringt er mit dieser Überzeugung dazu, sich mit ihm aufzumachen, zu neuen Ufern oder aber scheinbar Vertrautes weiter zu ergründen.

Kreativität, Wissen und Instinkt gehen bei Schläpfer eine ideale Verbindung ein, die jetzt das 31. Programm des Balletts am Rhein hervorgebracht hat. Die drei Stücke entstanden vor Jahren in Mainz und in den Niederlanden, für den aktuellen Ballettabend wurden sie neu einstudiert, mit einem Ergebnis, das frischer und belebender nicht sein könnte. Bei der Premiere am vergangenen Samstag wurden der Ballettchef und seine Gäste vom Publikum furios gefeiert.

Der Abend beginnt mit „Obelisco“ von Martin Schläpfer: Drei Tänzerpaare in Glitzerkostümen und auf enormen Plateauschuhen feiern unter einem funkelnden Sternenhimmel (Bühne und Kostüme: bestechend Thomas Ziegler) eine Party. Dazu ertönt die tiefe und unbezähmbare Stimme Marla Glens: „Travel“ - der Song stachelt das Partyvölkchen an, und die Ausgelassenheit nimmt zu. Plötzlich kippt die Stimmung, die Gruppe schlägt einen dunkelhäutigen Tänzer aus ihrer Mitte zu Boden, tritt ihn.

Das Ganze wirkt wie ein brutaler Battle, der eskaliert. Der Geschundene jedoch behauptet sich, zeigt den anderen den Mittelfinger und reiht sich wieder ein. Die Szene ist von enormer Kraft, denn sie bildet innerhalb weniger Minuten gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial ab, das vielfach deutbar ist. Ein moderner Videoclip wird hier mit den Mitteln des klassischen Tanzes produziert.

Die Choreografie „Obelisco“ ist eine Collage aus sieben Elementen. Mit seiner ursprünglichen Bedeutung dient der Obelisk — ein Steinmonument, der in den Himmel ragt und welches im alten Ägypten als Götterdenkmal errichtet wurde — auch Martin Schläpfer als Mittelpunkt, um den die Menschen kreisen und von dem sie gerne auch mal Abstand nehmen. Die sieben Kleinst-Geschichten, die Schläpfer erzählt, werden zu sieben sehr unterschiedlichen Kompositionen getanzt. Marla Glen trifft auf das gleißende Klangvagabundieren des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino, ein melancholischer Schubert ist zu hören und Mozart, der sich in einer Klavier-Fantasie mal klagend, mal verspielt gibt.

Nie träfe das fein ausgearbeitete Psychogramm Martin Schläpfers das Publikum mit dieser Wucht, würde es nicht von der wundervollen Compagnie des Balletts am Rhein getanzt. Deren leuchtendes Talent und künstlerische Artikulation bringen die Eingebung eines Choreografen erst zum Strahlen. Eine überwältigende Marlúcia do Amaral tanzt minutenlang auf der Spitze, während sie auslotet, wie es wohl ist, seine Mitte aufzugeben, um schließlich entmenschlicht auf allen Vieren zu kriechen; auch das auf der Spitze. Ein bereichernder Neuzugang ist der hochbegabte Marcus Pei, der seit dieser Spielzeit beim Ballett am Rhein engagiert ist. Sein Solo zu dem herzenswarmen Schubert-Lied „Du bist die Ruh“ ist von poetischer Akrobatik, sensibel und stark.

„Obelisco“ bannt das Publikum und knipst eine Gespanntheit an, die von nun an lodert. Was soll sie auch zum Erlöschen bringen, wenn ein Hans van Manen folgt? Der mittlerweile 84 Jahre alte Großmeister des neuen klassischen Tanzes schuf mit „Adagio Hammerklavier“ ein Werk, das auch nach mehr als 40 Jahren von einer Zartheit ist, die bis ins Mark erschüttert. Drei Paare nehmen einander in Augenschein, jedes für sich, dann wieder als Gruppe. Allesamt wunderschön-behutsame Versuche, sich näherzukommen.

Die Tänzerinnen dehnen und strecken Arme und Beine bis ins Extreme, sie weiten und spreizen sich und geben so dem Wunsch nach Innigkeit Ausdruck. Die kommt umso stärker daher, da van Manen hier Mann-Frau-Bünde spinnt, die allein über sachte Blicke funktionieren. Halt gibt dem Ballettwerk die erhabene Ruhe von Beethovens Adagio aus der „Großen Sonate für Hammerklavier“. Die konzentrierte Traurigkeit, die aufsteigt, wird zum Transporteur der Anmut, die der Choreograf auf die Bühne zaubert.

Einen reizvollen Kontrast dazu bildet das letzte Stück des Abends, „Sh-Boom!“ von Sol León und Paul Lightfoot. Das Choreografen-Gespann persifliert den zweifelhaften Glamour des Revuetheaters, das in Zeiten von Kriegen und US-Bombentests nie wahrhaft Seelentröster sein kann. Voller Energie und in einem rasenden Tempo drückt sich die Ambivalenz des Amüsements in der Bewegungssprache der Tänzer aus, dazu gibt es Schlager der 1920er bis 1950er Jahre — und eine kleine Überraschung für die Zuschauer.

Das Publikum bedankt sich für den herrlichen Abend mit tosendem Applaus und stehenden Ovationen für Hans van Manen.