Theater Junges Schauspiel Düsseldorf: „Werther“ als mobiles Theaterspiel
Düsseldorf · Fabian Rosonsky hat Goethes Briefroman in ein 60-Minuten-Stück für Jugendliche verwandelt. Mit großem Erfolg.
Werther leidet in Bomberjacke und Indoor-Mütze. Lotte qualmt Zigaretten. Und im spontan aufgestellten Zelt halten die beiden Händchen und geben Küsschen. Klar, dass in der Aula des Luisen-Gymnasiums die Annäherung der beiden oder das Turteln zwischen Lotte und Albert von Elftklässlern mit leisem Raunen quittiert werden. Die Schauspieler tummeln sich nicht auf einer fernen Aula-Bühne, sondern agieren mitten im Zuschauerraum. Eingerahmt von etwa 100 Schülern, die auf dem Boden sitzen und dank dieser Arena-Situation in hautnahen Theater-Genuss kommen.
Danach diskutierten sie zwanglos und unverblümt mit Eduard Lind (Werther), Davina Donaldson (Lotte) und Moritz Otto, der nicht nur Albert spielt, sondern noch in sieben weitere Rollen schlüpft. Sie alle kommen sympathisch rüber, auch Albert. Moritz Otto ist kein spröder Langweiler, sondern ein athletisches Kraftpaket, der mit beiden Füßen auf der Erde steht. So ist es nachvollziehbar, dass sich ein Mädchen wie Lotte für ihn entscheidet und nicht für den verträumten Weltschmerzler Werther.
Goethes „Werther“ läuft als 60-Minuten-Stück für Jugendliche
„Warum küsst Lotte beide Männer? Warum gibt Albert nicht nur Lotte, sondern auch Werther einen Kuss?“ will einer wissen. „Wer ist schuld an Werthers Tod?“ fragt ein Nachbar. Erstaunt über die teilweise tiefgründigen Fragen ist besonders Fabian Rosonsky. Der 30-jährige Jung-Regisseur, seit 2016 Regie-Assistent am Jungen Schauspielhaus, hat Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ als 60-Minuten-Stück für Jugendliche herausgebracht. Mit wenigen Requisiten, Lichterketten und vier Lametta-Türen, durch die die Darsteller auf und abtreten (Ausstattung: Sarah Methner). „Das Bild muss in einer Stunde auf- und wieder abgebaut werden können“, so Rosonsky. Dadurch und dank wandlungsfähiger Mimen entsteht eine lebendige mobile Inszenierung (ähnlich dem Schauspielhaus-Format „(to) go“), die einige Wochen durch Schulen und Jugend-Freizeitstätten wanderte. Die Resonanz ist so groß, dass Werther, Lotte und Albert jetzt ins Junge Schauspielhaus auf der Münsterstraße umziehen werden.
Wenn sie auch überwiegend die Goethe-Sprache benutzen, so steht sie doch nicht als Hindernis zwischen den stürmenden und drängenden Figuren (zwei von ihnen haben gerade die Schauspielschule absolviert) und den jungen Zuschauern. Zudem dampfte Rosonsky das Original von 140 auf 35 Seiten und acht Figuren zusammen. Seine Hauptleistung war, Werthers zahlreiche Briefe in Dialoge zu verwandeln und zu fokussieren auf die unglückliche Liebe zwischen Werther und Lotte, die sich aus Vernunftgründen für Albert entscheidet. Eine Dreier- oder Dreiecks-Beziehung, die nicht nur im Sturm und Drang Thema war, „sondern auch die Beziehungen unter heutigen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren beschreibt“, so Rosonsky. Um die Nähe zu den Figuren des 18. Jahrhunderts noch zu erhöhen, hat der Regisseur viele Adjektive gestrichen, wie „himmlisch“ oder „entzückend“. Zudem wird eine Identifizierung mit den Protagonisten erleichtert durch Werthers Geburtstagsparty, durch Songs aus „Dirty Dancing“ und atmosphärische Musik von Matts Johan Leenders.
Der große Erfolg in Schulen freut Rosonsky. Noch wichtiger sind ihm die Gastauftritte in Freizeitstätten, wie in Garath, wo sie demnächst auftreten werden. „Hier erreichen wir ein Publikum, dem Theater bisher unbekannt war.“ Das ist der Ehrgeiz des in der Lutherstadt Wittenberg aufgewachsenen Rosonsky, der seine ersten Erfahrungen während der Schulzeit in einer Theater-AG sammelte. Doch nach dem Abitur zog es ihn zunächst nach Barcelona, wo er sich mit Jobs durchschlug. Erst nach seinem Studium der Politik- und Literaturwissenschaft in Berlin reanimierte er seine Theater-Leidenschaft und begann als Assistent u.a. im Berliner Grips-Theater unter Stefan Fischer-Fels, der 2016 als Leiter des Jungen Schauspielhauses von Schulz zurück nach Düsseldorf engagiert wurde. Nach knapp drei Jahren fühlt sich Fabian Rosonsky wohl im Rheinland und kann sich gut vorstellen, in dieser Region auch in den kommenden Jahren als Regisseur zu arbeiten. Mit seiner mobilen Werther-Inszenierung, einer Koproduktion mit dem Goethe-Museum, hat er jedenfalls eine glänzende Visitenkarte abgegeben.
Nächste Aufführungen am 27. April, 15., 16., 25. Mai im Jungen Schauspielhaus, Münsterstraße 446. Tickets: Tel.: 0211 36 99 11.