Vortrag im Düsseldorfer Industrieclub Schnörkelloser Vortrag zum Krieg

Düsseldorf · Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler sprach im Industrieclub über den Krieg in der Ukraine und seine Folgen.

Herfried Münkler sprach im Düsseldorfer Industrieclub.

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In diesen Wochen, während wir ungläubig den Kriegsereignissen folgen, ist Herfried Münkler ein gefragter Ratgeber. Der Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Kriegsgeschichte und Kriegstheorie wird häufig um seine Meinung gebeten und drückt sich dabei nie um klare Worte. Beim Frühjahrsempfang der Familienunternehmer im Düsseldorfer Industrieclub nannte er seinen Vortrag schnörkellos: „Krieg in Europa – und was er für uns bedeutet“.

Ein Brecht-Zitat auf der Einladung sollte den Gästen erste Gedankenspuren legen: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat … Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Auch in der aktuellen Lage verwendet Herfried Münkler den Begriff des Heldischen. Er unterscheidet dabei zwischen heroischen und postheroischen Gesellschaften. Zu Letzteren zählt er die Mehrheit der westlichen Länder, die nach den Kriegserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts zu dem Ergebnis kamen, dass sie Derartiges nicht noch einmal durchmachen wollten.

Dabei setzte man vor allem auf die Überlegenheit wirtschaftlicher Macht gegenüber militärischem Säbelrasseln. Frankreich beispielsweise, dessen „Force de Frappe“ im Kalten Krieg noch ein effektives Instrument der Abschreckung bildete, musste irgendwann feststellen, dass seine nukleare Macht an den boomenden Finanzbörsen keinen relevanten Wert darstellte. Im gemeinsamen Europa dominierten die großen Unternehmen mit ihren globalen Strategien. Unterschiede in der nationalen Wirtschaftskraft übertünchten die Brüsseler Bürokraten mit dem rhetorischen „Wir“. Für den emeritierten Professor der Berliner Humboldt-Universität ist der inflationäre Gebrauch der ersten Person Plural gerade jetzt ein Ärgernis. Münkler hält dagegen: „Wir leben in einer Zeitenwende. Was vor kurzem noch feste Überzeugung war, ist über Nacht zur Illusion geworden. Das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft weicht der Ratlosigkeit, extremistische Positionen machen sich breit.“ Das rhetorische „Wir“ als handlungsfähiges Subjekt der Europäischen Union könne man sich für die nächsten Jahre abschminken.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion setzte man in West und Ost auf Verträge. So auch im Fall der Republik Ukraine. Im Memorandum von Budapest aus dem Jahr 1994 stimmte die Ukraine zu, alle auf ihrem Territorium befindlichen Atomwaffen an Russland abzugeben. Im Gegenzug bekräftigten die USA, Großbritannien und eben auch Russland ihre Verpflichtung, die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit des neuen Staates nicht zu bedrohen. Für Wladimir Putin sind Verträge allerdings nur dann gültig, wenn sie seinen persönlichen Interessen dienen. Diese juristische Unwucht stellt den Westen vor ein großes Dilemma. In früheren Zeiten, so Herfried Münkler, habe man Verträge durch die Gestellung von Geiseln abgesichert. Im Kalten Krieg habe dann die Nato-Doppelstrategie mit ihrer nuklearen Abschreckung für Jahrzehnte einen wenn auch brüchigen Frieden in Europa garantiert.

Und jetzt: Waffenlieferungen an die Ukraine? Einrichtung einer Flugverbotszone? Von beidem hält der Kriegstheoretiker wenig. Münkler glaubt, dass man den Krieg mit einem symbolischen Schachzug hätte verhindern können: „Die USA und Großbritannien hätten einige ihrer Atom-Unterseebote ukrainisch beflaggen und dem Kommando des ukrainischen Präsidenten unterstellen müssen. Für den Fall eines Angriffs hätte Selenskyi dann mit einem glaubwürdigen Gegenschlag drohen können.“ Damit aber, so Herfried Münklers leicht resigniertes Fazit, wäre man wieder bei den postheroischen Gesellschaften angelangt: „Die USA und Großbritannien wollten sich auf ein solches Chicken Game nicht einlassen.“