Ukraine-Krieg Ukraine-Krieg: Selenskyj bittet Deutschland um mehr Hilfe - USA warnen China

Kiew/Moskau · An Tag 22 des russischen Angriffskrieges gegen sein Land wendet sich der ukrainische Präsident Selenskyj direkt an den Bundestag. Er zeichnet ein Bild von der verzweifelten Lage der Menschen in seinem Land. Den Kreml empört eine Äußerung von US-Präsident Biden.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft an den Bundestag, die Menschen in der Ukraine wollten frei leben und sich keinem anderen Land unterwerfen.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Ukraine hat angesichts von Tod, Zerstörung und der Flucht von Millionen Menschen durch den russischen Angriff Deutschland um mehr Hilfe gebeten. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Donnerstag in einer Videobotschaft an die Abgeordneten des Bundestages, die Menschen in der Ukraine wollten frei leben und sich keinem anderen Land unterwerfen, das Ansprüche auf das eigene Gebiet stelle. Er dankte allen Deutschen, die sich für die Ukraine einsetzten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte weitere Unterstützung in Aussicht.

Die US-Regierung warnte China erneut davor, Russland im Krieg gegen die Ukraine mit militärischer Ausrüstung zu unterstützen. In einem solchen Fall würden die USA nicht zögern, China „Kosten“ aufzubürden, sagte Außenminister Antony Blinken in Anspielung auf mögliche Sanktionen.

Präsident Selenskyj beschreibt das Leid im Kriegsgebiet

Selenskyj sagte in seiner Ansprache: „Russland bombardiert unsere Städte und zerstört alles in der Ukraine: Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen - alles. Mit Raketen, mit Bomben, mit Artillerie. In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet - mitten in Europa, bei uns, im Jahr 2022.“

In der vom Krieg besonders stark betroffenen Hafenstadt Mariupol sind nach Angaben des Stadtrates etwa 80 Prozent der Wohnungen zerstört worden. „Täglich werden durchschnittlich 50 bis 100 Bomben auf die Stadt geworfen. Die Verwüstung ist enorm.“

Die EU wertet die Belagerung und Bombardierung Mariupols durch russische Truppen als „ernsthaften und schwerwiegenden Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“.

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat seit dem Einmarsch den Tod von 780 Zivilisten dokumentiert. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat - die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen.

Selenskyj dankt den Deutschen

Präsident Selenskyj dankte allen Deutschen, die sich für die Ukraine einsetzen - auch Unternehmen, die Moral über Gewinn stellen. Zugleich beklagte er, dass er lange vergeblich um Hilfe gebeten und sein Ansinnen eines Nato-Beitritts keinen Erfolg gehabt habe.

Eine neue Mauer in Europa weckt Erinnerung an Berliner Mauer

Selenskyj machte Deutschland aber auch mitverantwortlich für eine aus seiner Sicht neue Mauer in Europa, eine Mauer zwischen Freiheit und Unfreiheit. Er wandte sich dann direkt an Kanzler Scholz: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“ Er zitierte damit den früheren US-Präsidenten Ronald Reagan, der 1987 bei einem Berlin-Besuch vom sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow gefordert hatte, die Berliner Mauer niederzureißen.

Russland lehnt Ukraine-Anordnung des Internationalen Gerichtshofs ab

Der Kreml lehnte am Donnerstag die Anordnung der höchsten Richter der Vereinten Nationen ab, die Gewalt zu beenden. Die Richter hatten dies am Mittwoch angeordnet und damit einer Klage der Ukraine stattgegeben. „Wir können keine Rücksicht auf diese Entscheidung nehmen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Das Gericht in Den Haag besitzt keine Mittel, um einen unterlegenen Staat zu zwingen, ein Urteil umzusetzen.

Kreml empört über Bidens Kriegsverbrecher-Äußerung

Als „inakzeptabel und unverzeihlich“ bezeichnete der Kreml eine Äußerung von US-Präsident Joe Biden. Dieser hatte Putin am Mittwoch erstmals öffentlich einen Kriegsverbrecher genannt. „Unser Präsident ist eine sehr weise, weitsichtige und kultivierte internationale Persönlichkeit“, sagte Kremlsprecher Peskow Interfax zufolge. Solche Worte kämen vom Präsidenten eines Landes, „das seit Jahren Menschen auf der ganzen Welt bombardiert“.

Biden legte am Donnerstag nach. Putin sei ein „mörderischer Diktator, ein reiner Verbrecher, der einen unmoralischen Krieg gegen die Menschen in der Ukraine führt“. Angesichts des russischen Angriffskrieges sieht Biden einen „Wendepunkt in der Geschichte“, den es nur alle paar Generationen gebe. „Ich denke, wir befinden uns in einem echten Kampf zwischen Autokratien und Demokratien und der Frage, ob Demokratien erhalten werden können oder nicht.“

Russland setzt Verhandlungen mit der Ukraine fort

Die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau im Online-Format dauerten weiter an. „Die Arbeit wird fortgesetzt“, sagte Kremlsprecher Peskow. Russlands Bedingungen seien „äußerst klar, ausformuliert und den ukrainischen Verhandlungsführern vollständig zur Kenntnis gebracht“.

Selenskyjs Berater Alexander Rodnyansky dämpfte jedoch in der ARD-Sendung „maischberger. die woche“ die Hoffnung auf eine baldige Friedenslösung. Russland versuche, Zeit zu kaufen, um neue Truppen heranzuziehen und dann wieder eine Offensive zu starten.

Dem Kreml geht es nach eigenen Angaben um eine „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ sowie einen neutralen Status der Ukraine. Außerdem fordert Moskau die Anerkennung der 2014 annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Territorium und eine Souveränität der Separatistengebiete Luhansk und Donezk in ihren administrativen Grenzen. Die Ukraine will ihrerseits einen sofortigen Abzug russischer Truppen und einen Waffenstillstand erreichen. Kiew zeigte sich bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten, verlangt dafür aber Sicherheitsgarantien von anderen Ländern.

Mehr als drei Millionen Menschen fliehen aus der Ukraine

Inzwischen haben sich nach UN-Angaben rund 3,2 Millionen Menschen aus der Ukraine in Sicherheit gebracht. Allein 1,95 Millionen Flüchtlinge registrierte Polen, in Deutschland waren es laut Innenministerium offiziell mehr als 187 000.

Bund betont finanzielle Mitverantwortung bei Ukraine-Flüchtlingen

Bund und Länder wollen die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine als Gemeinschaftsaufgabe angehen. Das betonten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nach einer Ministerpräsidentenkonferenz. Über die Frage, wer dabei welche Kosten trägt, erzielten Bund und Länder zunächst keine Einigung. Eine Arbeitsgruppe soll bis zum 7. April einen Beschluss vorbereiten.

Krieg beeinflusst Wachstum und Inflation negativ

Das globale Wachstum könnte durch den Ukraine-Krieg einer Analyse zufolge um mehr als einen Prozentpunkt schrumpfen. Im ersten vollen Jahr nach Beginn des Konflikts könnte außerdem die globale Inflation um fast 2,5 Prozentpunkte ansteigen, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris mit. Die europäischen Volkswirtschaften seien insgesamt am stärksten betroffen - insbesondere diejenigen, die eine gemeinsame Grenze mit Russland oder der Ukraine hätten.

Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine halbierte das Kieler Institut für Weltwirtschaft seine Wachstumsprognose für 2022. Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI rechnet damit, dass der Krieg das Wirtschaftswachstum in Deutschland spürbar bremst.

(dpa)