Junges Schauspiel Junges Schauspiel zeigt: „Mit der Faust in die Welt schlagen“
Düsseldorf · Lukas Rietzschels Roman kommt unter der Regie von Martin Grünheit als Zwei-Mann-Stück auf die Bühne.
Zwei junge Menschen, etwas sonderbar gekleidet in eine Art aufgemotzten synthetischen Jogginganzug, der ein bisschen an Superheldenuniform oder vielleicht auch ein Bühnenkostüm für Elvis-Imitatoren erinnert, bespielen die Studiobühne des Jungen Schauspiels. Versehen mit einer Art Unterleibsschutz oder einer Schürze, die mit bunten Fäden behängt ist und manche der Form nach vielleicht an die Accessoires der Gang um Alex aus Stanley Kubricks A Clockwork Orange erinnern mögen.
Es sind die Schauspieler Ali Aykar und Paul Jumin Hoffmann, die in die Rollen der Brüder Philipp und Tobi schlüpfen und denen für ihre Verkörperung großes Lob gebührt. Ein Zwei-Mann-Stück. Zwei Brüder, denen zunächst Dinge passieren, die Menschen passieren, wenn sie erwachsen werden. Beziehungen nach innen, nach außen, zueinander oder auch gegeneinander beeinflussen uns auf unserem Lebensweg. So auch die beiden – doch es kommt mehr. Wieso sie diese merkwürdige Kleidung (Kostüme: Imke Paulick) tragen, wird in der Adaption von Lukas Rietzschels Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ nicht erklärt. Auch bleibt uns der Regisseur Martin Grünheit Antwort schuldig, wieso er die Geschichte der Brüder, die nach der Wende in der sächsischen Provinz aufwachsen und schließlich sich zunehmend einer rechten Clique zugehörig fühlen, so exzentrisch inszeniert.
Exzentrisch, da man versucht die Romanadaption, die zwangsläufig viel Erzählung und viel Kontext heranziehen muss, um die Geschichte fassbar zu machen, durch Effekte – oder nennen wir es vielleicht – inszenatorische Kniffe aufzulockern. Mit Tempo und Stimmung zu überlagern. Zeitgleich hat dieses Stück etwas sehr Statisches an sich. Das ist kein Widerspruch – denn zu viel Bewegung, ob innerlich oder äußerlich, führt zu Stillstand, zu einem ästhetischen Zähfluss.
Zwei Brüder also, deren Lebensweg nachgezeichnet wird, in kurzen Episoden, die mal auf diese oder jene Weise ästhetisch in den Bann ziehen sollen. Als roter Faden zieht sich ein „Trick“ durch die Inszenierung, die mit visuellen Effekten arbeitet und so das Geschehene durch Videosequenzen kommentiert. Mal durch eine Handkamera, die von den Schauspielern selbst bedient und auch mal ganz nah an den jeweils anderen herangezoomt wird, mal durch eine Art Live-Zeichnung auf dem Rücken einer der Schauspieler, die mitgefilmt wird, oder auch durch Einspielungen von dokumentarischen Aufnahmen. Andererseits nutzt man Verfremdung von Stimmen oder auch einen Song (Musik: Frieder Hepting), um die Emotionen der beiden Brüder zu spiegeln, auch mal zu ironisieren. Hierzu bedarf es eines – indes gerne zickenden – Mikros.
Die Figuren, die beiden Jungs, die sich mal messen und miteinander kämpfen, die mal sprachlos, mal tatenlos sind, bleiben in ihrer allein schon durch die Kostüme überzeichneten Meta-Ebene gefangen. Wirklich nahe kommen sie einem nicht. Wie ein äußerer Beobachter, der einem Experiment zusieht, fühlt sich der Betrachter bisweilen.
Die Fragen nach männlichen Rollenbildern, nach einer Radikalisierung von Jugendlichen, die mit bestimmten Verhältnissen um sich herum konfrontiert sind, vor allem auch im Osten Deutschlands, werden nicht selten eben mit jener Brille beäugt. Sehr oft hat man es mit Vorurteilen zu tun, ähnlich – zumindest strukturell – den Vorurteilen, die eigentlich von Rechten gegenüber Minderheiten entgegengebracht werden. Denn hier werden Eigenschaften einer bestimmten Gruppe zugeschrieben, oft individuelle Schicksale in ihrer spezifischen Eigenheit weniger in den Fokus genommen. Jede Biografie ist anders und bei genauem Hinsehen ist auch jeder Weg zur Radikalisierung ein höchst individueller.
Für externe Beobachter, die versuchen durch Deutung herauszufinden, wieso jemand so ist, wie er ist, wieso aus Wut Hass und aus Hass Gewalt wird, wird es schwierig zu deuten. Viele Deutungen gibt es und manche maßen sich an zu wissen, warum bestimmte Verhaltensweisen bei bestimmten Menschen auftauchen und bei anderen nicht. Dem entzieht sich zum Glück zumindest prima vista diese Inszenierung, weniger aber die Begleittexte in dem Programmheft und das Bonusmaterial.
Es ist ein Stück, über das sich mit Schulklassen gut diskutieren lässt. Zum Beispiel: Welche symbolische Bedeutung hat der eine oder andere Moment? Wie viel von der Stimmung des Romans ist noch in der Adaption zugegen?
Das Stück ist geeignet für Zuschauer ab 12 Jahren und läuft im Jungen Schauspiel (Münsterstraße 446). Weitere Infos: