Kabarett: Ätzen in himmlischer Eintracht
Er kann Wehner, Brandt und Strauß imitieren, weiß aber auch Neues zur Lage der Nation: Thomas Freitag im Kom(m)ödchen.
Düsseldorf. Immer noch gibt es einen Teil seines Publikums, der ihn auf der Straße mit "Guten Tag, Herr Strauß" begrüßt, erklärt Thomas Freitag den Besuchern seines Sommerspecials "Unerhört" im fast ausverkauften Kommödchen. Offenbar empfinden diese Menschen wie er, der die frühere Generation von Politikern für die deutlich profiliertere und charakterlich prägnantere hält.
Seine Parodien der Trias Wehner, Brandt und Strauß sind zugleich eine der Glanznummern in Freitags Programm. Gehüllt in einen weißen Engelsumhang und einen etwas kümmerlichen Heiligenschein ans Haupt geschnallt, durchmisst er im gehetzten Schritt die kleine Bühne. Dabei wettert er im Strauß-Duktus über das, was sich auf Erden so tut. Wehner und Brandt kommentieren, frotzeln und ätzen mit ihm in himmlischer Eintracht von ihrer Drei-Bett-Wolke herunter.
Zuvor hatte Freitag schon seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, Angela Merkel würde sich eines Tages die Maske vom Gesicht reißen und den darunter verborgenen Günther Wallraff enthüllen. Ein Reigen seiner beliebtesten Texte und Spielszenen ist es, den Freitag präsentiert. Neben den drei alten Griesgramen enthält es auch weitere Nummern, die er zu seinen Klassikern zählt, sagt der Kabarettist. Ein "Best of" also, ein Wiederkäuen alter Ideen, gar ein bloßes Abfeiern sicherer Lacher?
Nein, die Furcht, Freitag habe nichts Neues zur Lage der Nation beizutragen, ist grundlos. Zwar sind die Beiträge mitunter nicht erst gestern entstanden, aber von bemerkenswerter Aktualität. Den tumben Grenzsoldaten auf verlorenem Harmonisierungs-Posten an den europäischen Außengrenzen sind die 15 Jahre seit ihrer Premiere nicht anzumerken.
Und auch die haarsträubende Schilderung der Krankenhausszene, bei der die Kassenpatienten angehalten sind, selbst heilende Hand an sich zu legen, bevor sie dann beim Kassenarzt ihre Rechnung begleichen, hat nachhaltige Aktualität. Noch heute ginge es den Kassenpatienten in Deutschland schlechter als dem Biomüll im Kreis Aurich, der von den örtlichen Entsorgern tatsächlich vor der Verwertung geröntgt wird. So mancher Ostfriese klettere hier heimlich in die Tonne, um endlich die Schmerzen im Knie abklären zu können.
Einmal in Fahrt, kalauert sich Thomas Freitag auch noch durch die Finanzkrise, liest aus dem hinreißenden Tagebuch eines Rentners und seiner Wandlung vom Pläne schmiedenden Unruheständler zum verlotterten Kreuzworträtsellöser im schmutzigen Jogginganzug, um schließlich als Marcel Reich-Ranicki eine groteske Sessel-Akrobatik abzuliefern.
Über den Satz "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen" sinnierend, sitzt, liegt und hängt der 59-Jährige auf einem wuchtigen Polstermöbel herum, bis er schließlich auf allen Vieren über die Bühne kriecht und mit rotem Gesicht die grammatischen Feinheiten der kleinen Sentenz proklamiert. Großer Applaus, dem zwei Zugaben folgen.