Gastbeitrag Kalle Somnitz Das Schicksal der Kinos ist in der Hand des Publikums
Gastbeitrag Für Kalle Somnitz, Chef der Düsseldorfer Filmkunstkinos, ist es ein großer Unterschied, einen Film im Kino oder auf der heimischen Mattscheibe zu sehen. Im „Blick in die Zukunft“ schreibt er über die Hoffnung, dass Filmfans das würdigen.
Anfang Dezember kündigte Warner an, seine gesamte Staffel im nächsten Jahr zeitgleich im Kino und im Netz anzubieten. Damit hat das Unternehmen die gesamte Branche nicht nur überrascht, sondern auch mächtig vor den Kopf gestoßen. „Einige unserer größten Filmemacher und bedeutendsten Filmstars gingen gestern noch mit dem Gefühl ins Bett, für eines der großartigsten Filmstudios zu arbeiten, um heute Morgen aufzuwachen und sich bewusst zu werden, dass es nur ein schlechter Streamingservice ist“, kommentierte Christopher Nolan diese Entscheidung gegenüber dem „Hollywood Reporter“.
Tatsächlich bin ich in letzter Zeit oft gefragt worden, ob das Kino überhaupt eine Überlebenschance angesichts all der Streaming-Portale habe. Und ja, ich bin weiter positiv gestimmt, ist es doch am Ende der Kinobesucher selbst, der über das Schicksal der Lichtspielhäuser entscheidet. Angesichts der Corona-Krise kann man doch verstehen, dass die Großunternehmen mit solchen Gedanken spielen. Schließlich warten etliche Filme, die mit einigen Milliarden Dollar vorfinanziert wurden, auf ihren Einsatz.
Doch die Kinos sind weltweit geschlossen oder dürfen nur mit sehr begrenzten Kapazitäten wieder öffnen. Ein exklusiver Kinostart ist unter diesen Bedingungen nicht möglich, und wenn alle warten, bis Kino wieder sicher ist, stehen so viele große Filme zum Start bereit, dass sie sich nur gegenseitig kannibalisieren werden. Deswegen erklärt Warner seinen Schritt auch als Win-win-Situation, denn was nützt es den Kinos, wenn sie wieder öffnen dürfen, aber keine Filme da sind, die sich zu starten lohnen?
Mit einem gleichzeitigen Start im Kino und im Netz wären die Filme für die Kinos verfügbar und das für den Verleih wichtige Recoupment kann vielleicht zusammen mit dem Streaming-Einsatz erreicht werden. Sicherlich ein Experiment, das vielleicht gar nicht so dumm ist, doch wenn es funktioniert, wird wohl niemand die Auswertungsstrategie in Nach-Corona-Zeiten wieder zurückdrehen.
Dabei wird in dieser Diskussion gerne vergessen, welch einen enormen Unterschied es macht, einen Film im Kino oder auf der heimischen Mattscheibe zu sehen. Im dunklen Kinosaal starrt man gebannt auf die Leinwand, ist viel aufmerksamer, während zu Hause das Telefon klingelt, die Spülmaschine rattert oder die Kinder quengeln. Auch das Gemeinschaftserlebnis wird sich hier nicht einstellen, jedenfalls nicht so wie in einem ausverkauften Kino, wo man mit vielen Gleichgesinnten lacht, weint oder vor Spannung den Atem anhält. Ins Kino gehen heißt, nicht nur einen Film schauen, es heißt, einen Film zu erleben, Emotionen mit anderen zu teilen, eine Erfahrung, die man in unserer Gesellschaft nicht mehr an allzu vielen Orten machen kann.
Viel mehr Angst machen mir da Streamingdienste à la Netflix, die mit sehr, sehr viel „stupid money“ unterwegs sind, um das Geschäftsmodell Kino zu zerstören. So kaufen sie Filme für Preise auf, bei denen selbst die großen Studios passen, weil sie nicht zu refinanzieren sind. Für Netflix übrigens auch nicht, doch denen geht es nur um Publicity, die sie noch bekannter macht, damit sie noch mehr Abos verkaufen können und so Banken und Hedgefonds überreden können, ihnen noch mehr Geld zu leihen. Gewinn haben sie bisher nicht gemacht; ihr Schuldenberg wird immer größer.
Wenn dies kein Schneeballsystem ist, dann kann dieses Geschäftsmodell nur aufgehen, wenn alle Kinos schließen müssen und man Filme am Ende nur noch streamen kann. Dann würden sich sicherlich sehr schnell die Produktionsbedingungen ändern, denn man muss wirklich keine 200 Millionen Dollar in die Hand nehmen, um einen ordentlichen Fernsehfilm herzustellen, der womöglich hauptsächlich auf Notebooks, Tablets und Smartphones gesehen wird.
Ich weiß noch, wie Bernd Eichinger vor 30 Jahren seinen Cinedom in Köln eröffnete und sichtlich stolz war, den vielen technisch enorm aufwendigen Filmen à la „Star Wars“ endlich ein Haus bieten zu können. das ihnen zumindest technisch auf Augenhöhe begegnet. Damals mussten alle Kinos, die den Film spielen wollten, ein THX-Soundsystem einbauen, das George Lucas zusammen mit seiner Firma Industrial Light & Magic entwickelt hatte und nun vor Ort in den Kinos überprüfen ließ. Kaum vorzustellen, dass jemand heute den Filmfans das Handy vorschreibt, auf dem sie einen Film genießen dürfen.
Es gibt sicherlich noch etliche, ähnlich absurde Geschichten, die zeigen, wie groß der Unterschied zwischen Kino und Heimkino ist, doch den muss man eigentlich niemanden erklären und schon gar keinem Filmfreund. Deswegen lege ich das Schicksal der Kinos nach Corona gerne und vertrauensvoll in die Hand unseres Publikums.