Klassik: Eine symphonische Explosion
Die Berliner Philharmoniker gastierten nach 21 Jahren endlich wieder in Düsseldorf.
Düsseldorf. Die Mitglieder der Berliner Philharmoniker nehmen auf dem Podium Platz wie jedes andere Orchester. Doch der für Konzertsaalverhältnisse zunächst gewohnte Anblick verrät bei genauerem Hinsehen Unalltägliches: Da sitzen etwa unter den Holzbläsern Solisten von Weltrang, etwa der Oboist Albrecht Mayer oder Flötist Emmanuel Pahud.
Musiker, die bei den ganz großen Plattenlabels bereits mehrere Soloalben vorlegten und in allen bedeutenden Musikzentren auch alleine gastieren. Zuletzt waren die Berliner Philharmoniker vor 21 Jahren in Düsseldorf - da war Pahud erst 18, freilich noch nicht bei den Berlinern und ging noch zur Schule.
Bei diesem Orchester ist praktisch jedes Mitglied ein renommierter Solist, und im Verein formieren sich die Kräfte zu einem Klangkörper von der Präzision eines Jumbojets. Pilot für die orchestralen Höhenflüge ist Chefdirigent Sir Simon Rattle.
Er hat für Tournee der Berliner Werke aufs Programm gesetzt, die normalerweise kaum Besucher hinter dem Ofen hervorlocken würden: Beethovens vergleichsweise schwache Zweite Symphonie und die äußerst selten gespielte, folglich den meisten unbekannte Vierte Dmitri Schostakowitschs.
Doch wenn die Berliner und Sir Simon rufen, bleibt kein Platz unbesetzt, egal was sie aufführen. Das Entscheidende ist, wie sie es tun. Vielleicht will man Schostakowitschs Symphonie Nr. 4, ein schroffes, rhythmisch scharfes, mitunter wild tosendes Werk nicht alles Tage hören und schon gar nicht mit einem Durchschnittsorchester.
Aber den Berliner Philharmonikern gelingt ein symphonisches Spektakel von schier atemberaubender Virtuosität und frappierender Tiefenschärfe. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie sich ein Astronom fühlen muss, wenn er zum ersten Mal eine Planetenoberfläche mit einem neuen Teleskop betrachtet. Details, die sonst im Dunst liegen, wirken wie von allen Schwaden befreit.
Im 1. Satz gibt es eine Art symphonische Explosion: Da spitzen sich Streicherpassagen so rasant zu, als fliege der ganze Laden in die Luft. Trotz der Gewalt, Dichte und Schnelligkeit aller Stimmbewegungen halten die Berliner sich und Simon Rattle die Berliner unter vollkommener Kontrolle.
Es gibt auch wunderbar Zartes, etwa Akkorde der tiefen Streicher. Da scheint es, als würden Samtteppiche in geheimnisvollen Farben sanft ausgerollt. Oder Albrecht Mayer betört mit einem kleinen Oboensolo, das so stimmungsvoll leuchtet wie eine Kerzenflamme.
Rattle ist von Hause aus Schlagzeuger und bringt enormes Rhythmusgefühl mit. Bei Schostakowitsch zahlt sich solche Kompetenz immer aus. Aber auch in der Beethoven-Symphonie, die vor der Pause erklang, führte Rattles akzentuiertes Dirigat zu einem Klangbild mit scharfem Profil.
Die Berliner Philharmoniker verfügen über eine Spielkultur, die süchtig macht. Hoffentlich kommen sie bald wieder. Wir wollen aber diesmal nicht wieder 21 Jahre bis zum Jahr 2030 warten!