Ausstellung Norbert Tadeusz: „Ich mache nichts ohne Modell“
Düsseldorf · Der Kunstpalast zeigt die erste Ausstellung des virtuosen Farbmalers nach seinem Tode. Kurator Kay Heymer entdeckt viele neue Aspekte.
Norbert Tadeusz (1940–2011), war ein fanatischer Farbmaler. Ein Virtuose in schillernden Farben, der selbst in realistischen Motiven schillernde Couleurs liebte und dem Betongrau farbige Spritzer entlocken konnte. Er war ein Exzentriker, der in seinen großen Ateliers an der Burghofstraße und seit 1992 an der Himmelgeister Straße diverse Stricke, Leitern und Hängevorrichtungen anbrachte, damit die Modelle ihre Körper verrenkten oder gar kopfüber in den Seilen hingen. Alles und jeden, auch sich selbst, verstrickte er in seine Widersinnigkeiten. Nun erhält er posthum einen kleinen Rückblick im Kunstpalast.
Die Frauen waren schon für den Studenten Ur-Mütter
Kay Heymer, der die Ausstellung kuratiert, ging mit Akribie ans Werk. Denn nur so konnte er Neues entdecken, ist doch Tadeusz in seiner Wahlheimat bestens bekannt. Heymer wunderte sich über den Titel „Mütter Ur-Chinesisch“ zu zwei erstaunlichen Gemälden von 1961. Sie enthalten das Lieblingsmotiv der Frauen. Dafür findet er eine Sprache, die an seinen Lehrer Joseph Beuys erinnern mag, aber auch an eine informelle Bildschrift. Lauter nackte Ur-Mütter, Varianten zur Venus von Willendorf sind zu sehen. Figuren mit Brust, Bauch und Schenkeln. Heymer fand in der Bibliothek der Kunstakademie ein Buch von Herbert Kühn zu den Felsenbildern Europas. Die Deutung trifft genau auf das Bilderpaar in der Ausstellung zu: Kühn vergleicht neolithische Felszeichnungen mit der Entstehung der Bilderschrift und der Symbolschrift. Die Frau wurde zum Fetisch des Künstlers.
Bis 1967 blieb Tadeusz an der Kunstakademie. Er verließ rechtzeitig die Beuys-Klasse, bevor sie sich politisierte. Als er 1967 in der Galerie Gunar am Burgplatz ausstellte, musste die Ausstellung geschlossen werden. Düsseldorf war bieder, die Bürger waren bigott. Während andernorts die Pop-Art ihre Nackedeis feierte, war in Düsseldorf die Zeit für die Kunst noch nicht reif. Heute würde sich kein Mensch mehr über die frühen Modelle auf der „Aktliege“ aufregen. Was die Arbeiten heute sehenswert macht, sind die Licht- und Schattenspiele, die er möglicherweise Edward Hopper abgeschaut hatte. All die kleinen Formate produzierte er unterm Dach an der Sittarder Straße.
In seinen großen Ateliers seit den 1970er Jahren hatte er jenes Oberlicht und Seitenlicht, das er brauchte, um seiner Devise zu folgen: „Ich bin kein Künstler, ich bin Maler.“ Eine absurde These. Aber so war er eben: Er liebte die Spannungen, die Pole zwischen Realismus und Abstraktion, den Katholizismus italienischer Prägung, wo die Gewalttätigkeit des Opfertieres und das Kruzifix dicht beieinander liegen. 1974 sah er eher zufällig in Florenz in einem Schlachthof aufgehängte und ausgeweidete Ochsen. Blaurot und Pink konnten ihn faszinieren. Stets erwachte das Augentier in ihm, das die Dinge und Lebewesen in sich hineinfraß, um sie wohlkomponiert wieder auszustoßen.
Ihn interessierten Extreme. Das war in Italien etwa der Palio, dieses härteste Pferderennen der Welt, wo die Reiter von den ungesattelten Halbblütern rutschen und manches Pferd bei einem tollen Sturz verendete. Das Ineinanderkeilen der Körper, das Abdriften der Jockeys, dieses Spiel mit den reizvollen Oberflächen inspirierte ihn. Die Auseinandersetzung mit dem Körper, egal, ob lebendig oder tot, ob Kadaver oder Lustobjekt, gehörte zu seinen wiederkehrenden Motiven. Was auch immer auf seinen Bildern passierte, alle Gemälde entstanden in seinem Düsseldorfer Atelier.
Doch all die Spektakel auf seinen Gemälden sind extrem inszeniert, in die Balance gebracht, merkwürdig strukturiert. Das gilt schon für die frühen, billigen Teppichvorleger, in denen er wie auf dem Klavier die verschiedenen Töne gegeneinandersetzte. Er kannte die Kunstgeschichte von Gericault bis Tizian, von Corinth bis van Gogh, die er in den Museen zwischen Asien und Europa erlebt hatte. Niemand ahnte, dass er eigentlich nur die Hauptschule absolviert und eine Lehre als Dekorateur hinter sich hatte, bevor er zu Beuys kam. Er war in gewisser Weise ein Seiteneinsteiger, der die Malerei als eine Lebensaufgabe betrachtete, der er sich mit Hingabe widmete.
„Ich machte nichts ohne Modell. Alles Ateliermalerei“, sagte er. Dafür brachte er sich Agaven und chinesische Pferde von seinen Reisen mit. Mit viel Mühe baute er sich drei Jahre lang sein 1200 Quadratmeter großes Hallengrundstück um und verwandelte die Mitte der einstigen Industriebrache in einen paradiesischen Garten mit Glyzinien, Akeleien, Peonien, Clematis, Ginster, Korkenzieherweiden, Königskerzen, Malven und Katalpa, um sich von den Blüten inspirieren zu lassen.
Er konnte ungemein ehrlich sein, wenn er vom „Miteinander der Farben“ und den „monochromen Zwischenzonen“ sprach. Oder wenn er plötzlich erklärte: „Seit 25 Jahren mache ich fast identische Kompositionen. Das Maß interessiert mich. Nur die Farbe wechselt.“ Redend und erklärend hat er die Jugend 30 Jahre lang unterrichtet, als Professor in Düsseldorf, Münster, Berlin und Braunschweig.
Dennoch hielt er von der reinen Lehre nichts. „Ich habe ja keine Ideen, die ich malen will, kein Programm, das ich vorführe, keine Mission. Ich male das, was ich gesehen habe, und das hab‘ ich dann eben auch oft gezeichnet.“ Der einstige Meisterschüler des Joseph Beuys war niemandes Schüler. Dazu war er zu eigenständig, selbstbewusst und stolz. Er wusste sehr genau, dass ihm niemand so schnell die Rolle als einer der wichtigsten figurativen Maler des 20. Jahrhunderts in Deutschland streitig machen konnte. Kay Heymer erklärt: „Er hat mit anderen Malern seiner Generation nicht viel zu tun gehabt. Und sie wollten es auch nicht. Er war polarisierend, auch sperrig. Aber was er malte, waren schöne Bilder.“
Er blieb nicht nur seiner Stadt Düsseldorf ein Leben lang treu, sondern auch seinen Ängsten, Sehnsüchten und Begierden, die er mit einer manischen Produktivität kompensierte. Stets ging es um Leben und Tod, auch wenn die Schönheit siegte. Das Schlachthaus und der Zirkus entsprachen seinem Sadismus und seiner Farbenfreude. Dass es ein existenzieller Kampf war, den er auf der Leinwand zelebrierte, zeigen die vielen Selbstbildnisse, in denen er sich entkleidete und wie ein armer Teufel durch seine eigenen Szenen läuft. Klein an Statur, aber groß in seiner Kompromisslosigkeit.
Die Ausstellung im Kunstpalast (Ehrenhof) ist bis zum 2. Februar (jeweils dienstags bis sonntags) zu sehen.