Theaterpremiere Parzival mit spärlichen Mitteln: Die Botschaft kommt an
Düsseldorf · Das Schauspielhaus inszeniert den Stoff in der To-go-Version und erntet bei der Premiere in einer Kirche Jubel.
Naiv, unschuldig, fern von Menschen, aber im Gespräch mit Tieren und in unberührter Natur – so wächst er im Wald auf. Doch nach der Begegnung mit Rittern leckt Parzival Blut. Und will zunächst König Artus, später dann dem Herren, der über allen steht, kennenlernen und dienen. Auf dem Weg zu „Gott“ und auf der Suche nach dem Heiligen Gral schlägt er aber wild um sich, tötet Feinde und Freunde, die sich ihm in den Weg stellen. Für die Suche nach wahrer Menschlichkeit und bis zur Menschwerdung benötigt der mittelalterliche Ritter knapp zwei Stunden.
So zumindest in der zupackenden Inszenierung von „Parzival (to go)“, mit der Robert Lehniger in der Melanchthon-Kirche (Graf-Recke-Straße) Premiere feierte. Das gleichnamige Stück von Tankred und Ursula Ehler aus den 1980er Jahren lehnt sich unter anderem an den mittelhochdeutschen Versroman an, den Wolfram von Eschenbach vor gut 800 Jahren verfasste, folgt also weniger dem Bühnenweihfestspiel Wagners. Und die Moral vom Erlernen des Mitleids als menschlicher Grundtugend hat sich, wie man in unserer gewaltorientierten Welt mit immer niedrigeren Hemmschwellen sieht, sicherlich nicht überlebt. Könnte für Jugendliche gar zu einem Schlüsselerlebnis werden.
Nach „Faust“ und „Nathan“ ist die Geschichte vom reinen Tor (laut der „Parsifal“-Übersetzung von Wagner) die dritte mobile Produktion, mit der das Schauspielhaus Klassiker an theaterfernen Orten präsentiert. Spärlich sind auch hier, wie in den vorangegangenen Projekten, die Requisiten. Ein Podest mit Guckkasten-Wand, auf der Videosequenzen von Artusrunde, Wäldern, Auen und Seen projiziert werden. Hinzu kommen wandlungsfähige, sich frei ausspielende Mimen, die blitzschnell Klamotten und Rollen wechseln und ihre Stimmen, ähnlich wie in Fantasy-Filmen, mit Echo-Hall verstärken. So eignet sich auch Lehnigers „Parzival“ als „to go“-Format für Schul-Aulen, Gemeindesäle und Begegnungszentren.
Zumal sich der kräftige, jugendlich strahlende Henning Flüsloh besonders für junges Publikum als Projektionsfläche eignet. Er schlüpft aus einem Loch hervor, kriecht in den Schoß seiner Mutter (Judith Bohle), folgt wie ein weltfremder, vaterloser Kindskopf treu und naiv ihrer Mahnung, er solle die Einsamkeit suchen, weil die Menschen von Natur aus böse seien. So vertraut er nur seiner Muskelkraft. Da er niemals mit jemandem mitgelitten hat, kann er kein Mitleid empfinden.
Den Übermut eines „reinen Tor“ verkörpert Flüsloh, wenn der den roten Ritter einfach abschlachtet, um sich endlich die heißersehnte rote Ritter-Rüstung anzuziehen. Und mit einem Stab-Schwert um sich schlägt. Er entdeckt die Liebe zu Blanchefleur (grell wie im Comic: Eva Lucia Grieser), deren Ehemann Parzival aber erst einmal einen Kopf kürzer macht. In filmähnlichen Short-Cuts lässt Lehniger seinen Helden die verschiedenen Etappen durchlaufen. Und zeigt in überspitzten Tableaus, wie Parzival an der Prüfung in der Gralsburg „Montsalvatsch“ (bei Wagner Montsalvat) scheitert. Hier leidet der alte König Amfortas an einer unheilbaren Wunde. Alle warten auf Parzivals Frage: auf seine Äußerung des Mitempfindens. Doch das versteht er erst, wenn’s zu spät ist – wenn er das „wüste Land“ durchquert und den Einsiedler getroffen hat, der sich in einer Höhle unter Wasser ein Paradies schuf. Und wenn er im Finale auf Amfortas’ Bruder Trevrizent stößt, der sich selber auspeitscht. Bei jedem Hieb leidet Parzival mit ihm und wird dadurch endlich zum Menschen. Zugegeben: Das kommt a bissel abrupt und unvermittelt. Die Botschaft kommt jedoch an. Und das Team wird bejubelt.
Termine: 11. Dezember Hochschule Düsseldorf, 22. Dezember Freizeitstätte Garath, 26. Dezember Schauspielhaus, 12. Januar Christuskirche Oberbilk. Tickets unter Telefon 369 911.