Kultur Philipp Löhles "Barbaren": Bitterböser Theaterabend trifft den Nerv
Im Central feierte das Stück „Wir Barbaren“ Premiere. Im Zentrum: die Flüchtlingspolitik. Eine Geschichte voll giftigen Vergnügens.
Düsseldorf. Heißt er Klint? Oder Bobo? Diese Frage sorgt im Hause von Barbara und Mario für Unruhe. Jedenfalls kommt der Fremde — der in seiner Heimat Fürchterliches durchgemacht hat und plötzlich vor ihrer Tür steht und um Nahrung und Asyl bittet — aus Asien oder Afrika. Nur den Namen haben sie nicht so richtig verstanden. Verpflichtet sein Schicksal zu uneingeschränkter Hilfebereitschaft? Oder ist Misstrauen angesagt? Zwischen diesen Extremen pendeln die vier Figuren in „Wir sind keine Barbaren“, streiten bis aufs Messer. Das Stück von Philipp Löhle, das vor zwei Jahren in Bern aus der Taufe gehoben wurde, hat Mona Kraushaar nun für die Kleine Bühne im Central am Hauptbahnhof in Szene gesetzt. Mit bösem Vergnügen, vier forsch auftrumpfenden Mimen und einem agilen Heimatchor, der zu Beginn die Nationalhymne summt.
Diese beißende Satire mit tödlichem Ausgang (zumindest für eine Person) hat die Wirklichkeit seit sechs Monaten in Deutschland überholt. Genauer: Die garstig rassistischen Tiraden gegen alles Fremde, die der 37-jährige Autor Löhle (auch mit Schweizer Pass) seinen Figuren und dem Heimatchor 2014 in den Mund legte, sind seit den Pegida-Demonstrationen und Attacken auf Flüchtlingsheime auch in unserem Lande nicht mehr zu überhören. Chor-Rufe wie „Wir sind stolz auf uns!“ oder „Hier sind wir, und wir sind ein Volk“, oder „Wir sind gerne betroffen“ erinnern an nationalistische Panik-Demos auch am Rhein.
So trifft dieses Konversations-Stück — im Monat Sieben nach dem Merkel-Satz „Wir schaffen das!“ — genau den richtigen Nerv, spiegelt die Kontroversen über die Flüchtlingspolitik in vielen Familien. Zum Titel: „Wir“, das sind wir weißen Westeuropäer, die glauben, sie hätten die Zivilisation erfunden; die „Barbaren“ sind die Fremden, obwohl in der Antike diejenigen Barbaren genannt wurden, die das Gastrecht nicht heiligten.
Doch so weit denkt keiner der Vier in ihrer spießigen, pseudo-modernen Vorstadt-Idylle. Weder die lebensgierige vegane Köchin Barbara (spitzzüngig: Stefanie Rösner) und ihr Mario (Jonas Gruber), der an einem künstlichen Sound für Elektro-Autos tüftelt und seiner Frau zum Geburtstag einen riesigen Flachbild-Fernseher schenkt. Noch die Neulinge Linda und Paul, die gerade die Wohnung unter ihnen bezogen haben. Linda (Bettina Kerl) kommt als hysterisch hyperventilierte Fitness-Tussi daher — Yoga und Pilates inklusive. Ihr Paul (Dirk Ossig) ist der typische Vorabend-Serien-Proll. Der Ort, an dem sie leben: eine bühnenfüllende Sofa- und Liege-Landschaft mit eingebautem Schaumstoff-Trampolin (Bühne: Katrin Kersten), in der die Vier ganz schön ins Schwanken geraten.
Abgrundtief schwarzhumorig kommen die bekannten Sprüche und Asylanten-Klischees über die Bühne. Besonders heftig werden sie, wenn die Fremden schwarzer Hautfarbe sind. Denn Gutmensch Barbara gewährt Bobo (oder heißt er doch Klint?) eine Unterkunft, fährt ihn zu den Ämtern und kümmert sich mehr um ihn, als ihrem Gatten und den Nachbarn recht sein kann.
Zugespitzt sind die exzellent geschriebenen Dialoge, sie lassen keinen Raum für eine Illusion. Zündend und pointensicher bringt Kraushaar das Wechselspiel zwischen Chor und den Figuren auf den Punkt. Die Folge: Es ist komisch und schmerzt zugleich, denn wir lachen gerne über Barbaren — auch über den in uns —, wenn wir den „Barbar“ auch als politisch unkorrekt ablehnen. Einen bitterböser Polit-Boulevard-Abend von 90 Minuten beschert die neue Premiere, die ein weiterer Erfolg für das Schauspielhaus ist.