Störe ich, Herr Tukur?
Interview mit Ulrich Tukur „Düsseldorf geht wie geschnitten Brot“
Interview · Der Schauspieler gastiert mit einer Lesung in der Reihe „Zweiklang! Wort und Musik“ in Düsseldorf. Über sein Leben in Italien, die Liebe zur Sprache und Leidenschaft für Lyrik.
Es ist Sonntag, ein Tag ohne Dreharbeiten für Ulrich Tukur. Der Schauspieler befindet sich gerade wieder im Einsatz für einen „Tatort“. Er schlug vor, ihn in seinem Hotel in Frankfurt anzurufen.
Ulrich Tukur: Aber nein. Ich habe gerade Klavier gespielt.
Im Hotel?
Tukur: Auf meinem Zimmer, ja. Ich habe mir eines reinstellen lassen. Kein richtiges Klavier, ein Keyboard, aber mit gewichteter Tastatur. Darauf kommt es an.
Und was spielen Sie da so?
Tukur: Ich will ein wenig üben, für meine Konzerte mit den Rhythmus Boys. Pandemisch bedingt dürfen wir ja nur ein Kurzprogramm anbieten. „Rhythmus in Dosen“, benannt nach einem Schlager von 1942. Die meisten Auftritte waren erfreulich gut verkauft.
Mit diesen Musikern waren Sie auch schon öfter in Düsseldorf.
Tukur: Und wir kommen wieder. Im Frühjahr starten wir eine größere Tournee. Es ist ein Phänomen, Düsseldorf geht wie geschnitten Brot, in Köln müssen wir kämpfen.
Woran könnte das liegen?
Tukur: Die Kölner haben eine Vorliebe für ihre eigenen Leute. Es ist nicht so leicht, die Zuneigung dieses Publikums zu gewinnen. Hat man es aber einmal geschafft, läuft es gut. Düsseldorf erscheint mir irgendwie aufgeschlossener, eine bürgerliche Stadt mit Substanz und einer Begeisterung für jede Form von Kunst. Bürgersinn mag ein altmodischer Begriff sein, aber er hat seine Berechtigung.
Umso mehr dürfen Sie sich auf Ihre Lesung am Sonntag freuen. Wie kamen Sie auf den Roman „Moby Dick“?
Tukur: Konzipiert wurde die Rezitation ursprünglich für Klaus Maria Brandauer. Als er erkrankte, sprang ich ein. Allerdings war die damalige Fassung sehr von ihm geprägt: viel Brandauer, wenig Moby Dick. Ich wollte die Geschichte besser hervorholen.
Was fasziniert Sie an „Moby Dick“?
Tukur: Herman Melville hat eines der großen Werke der Weltliteratur geschaffen. Ein Drama, das wie kaum ein anderes den Abgrund des Menschen im Kampf mit der Natur ausleuchtet. Sebastian Knaurs wunderbare Musikauswahl und Melvilles kraftvolle Sprache generieren großes Kopfkino.
Starke Bilder löst auch Ihre szenische Lesung „Vom Zauber einer verwehenden Sprache“ mit Christian Redl aus.
Tukur: Der Titel nimmt Bezug auf die Verkümmerung unserer Sprache. Ich bin ein großer Liebhaber von Gedichten. Eine Ballade von Schiller hat für mich die Qualität eines Filmdramas. In der Schule mussten wir Gedichte auswendig lernen und hassten es wie die Pest. Zu diesem Zeitpunkt versteht man leider nicht, wie viel man später davon haben kann.
Welchen Schatz entdeckten Sie darin?
Tukur: In jeder Lebensphase und mit all deinen Nöten findest du immer das passende Gedicht. Du kannst es in deine Tasche stecken wie einen Edelstein. Und ganz nebenbei beeindruckt man die Damen damit. Kannst du nicht Klavier spielen oder hast du keine schöne Stimme: Sag ein Gedicht auf.
Wo wir bei Lebensphasen sind – Sie haben Ihre Wahlheimat Venedig nach zwei Jahrzehnten verlassen und sind mit Ihrer Frau, der Fotografin Katharina John, nach Berlin gezogen. Warum?
Tukur: Alles hat seine Zeit. Unsere war vorbei. Italien bezaubert mit Kultur, hinreißenden Menschen, wunderschönen Landschaften. Aber wenn man es mit seiner surrealen Bürokratie zu tun bekommt oder ad hoc medizinische Hilfe benötigt, ist man verloren.
Sind Sie glücklich in Berlin?
Tukur: Schwer zu beantworten. Die Stadt ist ständig im Werden und kommt nie an. Wir sind kurz vor dem ersten Lockdown hingezogen, und in einer Großstadt ist die Lahmlegung allen öffentlichen Lebens noch deprimierender als in einem Dorf. Dabei war mir Berlin vertraut. 1984 begann meine Theaterkarriere mit „Ghetto“ bei Peter Zadek an der Freien Volksbühne. Es ist noch nicht wieder meine Stadt, trotz ihres unglaublichen kulturellen Angebots und all der Freunde, die dort wohnen.
Vielleicht sind Sie zu viel unterwegs, um sich schon heimisch zu fühlen. Wie jetzt wieder für den „Tatort“.
Tukur: Mein elfter Film. Ich bin froh, diese Figur spielen zu dürfen, die ich ja mitentwickelt habe. Man lässt mir viel Freiraum; die Redaktion besitzt kineastische Kompetenz, Sinn für Poesie und den Mut zum Risiko.
Wie würden Sie Ihren Ermittler beschreiben?
Tukur: In diesen sich überstürzenden Zeiten wirkt Murot wie aus der Welt gefallen. Er steht am Rande des Lebens, beobachtet fasziniert und ungläubig, was um ihn herum passiert. Schon aufgrund seiner Erkrankung ist er ein Melancholiker, eine Figur wie aus einem alten französischen Kriminalfilm.