Schock im Theater: Kannibale treibt Zuschauer aus dem Saal

Ein neues Stück sorgt für Empörung. Ein Zuschauer spuckt Mitarbeiterin an.

Düsseldorf. Das reale Vorbild für Elfriede Jelineks Drama "Rechnitz" ist ein barbarisches Verbrechen aus der Nazizeit. Eine Festgesellschaft ermordet 1945 im Burgenland 180 Zwangsarbeiter, die meisten sind Juden.

Ein Massaker als grausame Event-Dramaturgie. Literaturnobelpreisträgerin Jelinek hat das Thema in all seiner Schonungslosigkeit angefasst, zugespitzt und in eine literarische Form gepresst.

Die Bühnenfassung, die Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer für das Schauspielhaus daraus gestrickt hat, wurde jetzt zu einem Schock und sorgte bei der Premiere am Wochenende für Tumulte.

Gisèle Spiegel, Witwe des verstorbenen Ex-Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, verließ das Theater bereits vor der Pause. Diese Art der Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der Nazis entsetzte sie. Zu leidvoll waren die Erfahrungen ihrer Familie während des Holocaust.

Am Sonntagabend bei der zweiten Vorstellung des Stücks fielen die Reaktionen noch heftiger aus. Mindestens 40 Besucher gingen vorzeitig, einige lieferten sich während der Vorstellung Diskussionen. "Aufhören" riefen die einen, "das müsst ihr aushalten" die anderen.

Der Ärger eines Mannes ging dabei so weit, dass er die Abendspielleiterin anspuckte, als diese nach der Vorstellung sagte, sie sei stolz darauf, bei der Inszenierung mitgewirkt zu haben. Auf der Homepage des Schauspielhauses reichen die Kommentare des Publikums von "großartig" bis "grauenhaft". Solche Aufregung um ein Theaterstück gab es in Düsseldorf zuletzt 2005, als Jürgen Gosch seinen blutigen "Macbeth" aufführte.

Vor allem der Schluss des Stücks empörte und ekelte viele Zuschauer, wenn der "Kannibale von Rotenburg" mit seinem Opfer telefoniert. Ein Beispiel aus dem Gespräch:

Der Kannibale sagt: "Ich muss ja deine Beilagen einkaufen. Ich meine, ich muss die Beilagen zu dir kaufen." Das Opfer antwortet: "Ich kann’s kaum noch abwarten." Etwas später sagt es: "Dann iss bitte meine Zunge komplett bis zur Wurzel!"

Gisèle Spiegel empfand die Inszenierung auch aus ästhetischen Gründen als unzumutbar. "Da war keinerlei Abstand, keine Struktur. Ich habe so etwas Schlimmes noch nie gesehen."

Selbst Kulturdezernent Hans-Georg Lohe hielt nur mit Mühe bis zum Ende der Vorstellung durch. "Es war zum Teil ekelerregend", sagte er. Vor allem der Dialog mit dem Kannibalen sei "zu viel" gewesen. In München war "Rechnitz" schon einmal inszeniert worden, jedoch hatte der Regisseur dort den Dialog gestrichen.

Das Schauspielhaus zog Konsequenzen aus den Beschwerden. "Wir werden künftig eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn eine Einführung in das Stück geben", kündigte am Montag Sprecherin Manuela Schürmann an.