Konzert Tonhalle Düsseldorf: Musik so stark, dass der Herzschlag stockt
Düsseldorf · Beim Sternzeichen-Konzert dirigierte Ádám Fischer Mahlers 9. Sinfonie. Das Publikum zeigte sich begeistert.
Kaum ein symphonisches Werk verdeutlicht in sich zeitgleich den Gipfel romantischer europäischer Kunstmusik und deren tragisches Ende, deren Zerfall und schließlich Transformation zu neuen Wegen. Gustav Mahlers 9. Sinfonie, seine letzte Vollendete, ist eine große Rückschau auf all das, was der so vieles mit sich reißende Strom Mahlerschen Schaffensdranges im Laufe der Zeit vereinnahmt hatte. Zitate aus der Welt der Operette, böhmische, wienerische, christliche, jüdische Erinnerungen mischen sich auch hier zu der für Mahler so typischen Musiksprache. Doch sind sie hier Schatten einer glücklicheren vergangenen Zeit, sind Bruchstücke, die sich gegen das Schicksal aufzulehnen versuchen, aber schlussendlich einsehen müssen, dass es zu Ende geht. Auflösung, Transformation und eine große Vision der Zukunft der Kunstmusik.
Mahlers 9. ist zweifelsohne geprägt von seinen Lebensumständen, wenngleich es immer intrikat ist, von einer Komposition auf die Biografie ihres Autors und vice versa zu schließen. Doch in Mahlers Fall scheint es legitim, Spuren seines Befindens im Stück zu suchen. Dies hat zwar nur mittelbar mit der musikalischen Interpretation zu tun, die ein Orchester und ein Dirigent einem Werk wie der 9. von Mahler zukommen lassen, doch der Geist, die Aura, die man aus der Partitur herauszuarbeiten gewillt ist, ist schon merklich spürbar in dem musikalischen Endergebnis. Und dies war bei dem Sternzeichenkonzert am Freitag eindeutig der Fall.
Es ist nicht einfach, Mahlers „Neunte“ zu interpretieren
Mahlers „Neunte“ zu interpretieren, ist kein Leichtes. Die immer wieder aufkeimende Leidenschaft, die schrecklichen Zusammenbrüche, das sich übertürmende Konstrukt zeitgleicher Erinnerungen, die sich dann aber dennoch auf wenige immer wieder bis zum Exzess getriebene Ideen reduzieren, erfordert ein aufmerksames Orchester, das alle Nuancen virtuosen Spiels beherrscht. Erfordert einen Dirigenten, der sich auf die so minutiösen Spielanweisungen Mahlers verlässt, zugleich ein Gespür dafür hat, wie sich alles im justen Moment des Geschehens zusammenfügt.
Ádám Fischer ist so ein Dirigent, der nicht nur derart stimmige Tempi wählt, dass man nahezu jederzeit das Gefühl hat, diese Musik müsse genauso erklingen, sondern, der auch ein besonderes Händchen für den jeweils richtigen Tonfall zu haben scheint. Ohne – und dies ist das Besondere – zu überzeichnen. Ein Phänomen, auf das man leider immer wieder hier und da zu sprechen kommen muss. Fischer lenkt die Düsseldorfer Symphoniker durch Seufzer und beschädigte Herzschläge des ersten Satzes genauso unbeirrt, wie durch das ruinierte ländliche Idyll des zweiten Satzes, vermag das Burleske des dritten Satzes in einem großen Bogen zusammenzuhalten und dennoch alle Schärfen gut durchkommen zu lassen. Bei Fischer ist nichts zu dick, nichts zu frech, nichts zu aggressiv. Vielleicht ist dies auch das kleine Manko, wenn man so möchte. Aber die Leidenschaft, der große Mahler erklingen mit so viel Intensität, dass man selbst hin und wieder sein Herzschlag stocken zu hören glaubt, wie der herzkranke Mahler selbst beim Schreiben dieser Musik. Atemberaubend gelingen Fischer die lyrischen Passagen wie große Teile des letzten Satzes, in denen er dem Orchester Weltkasse zu entlocken vermag: hier ein besonderes Bravo für die ersterbenden letzten Minuten, dieser viersätzigen Abschieds-Symphonie.
Hat man auch bisweilen das Gefühl, dass die Düsseldorfer Symphoniker im Gesamtverlauf der Sinfonie ganz selten bei dem leidenschaftlichen Befolgen von Fischers Anweisungen an ihre Grenzen stoßend, mit den Urkräften dieser Musik nicht „mitzukommen“ scheinen. Vielleicht kam bei den Hörnern manches nicht ganz so überragend, aber das trübt den betörenden Gesamteindruck nicht.
Dass Fischer und Haydn ein wunderbares Team sind, ist natürlich allseits bekannt, spätestens aber seitdem er regelmäßig Mahlers Werke mit Haydns Musik paart. Diesmal erklang in bester klassischer Manier, gleichfalls mit perfekten Tempi, die Sinfonie Nr. 101 „Die Uhr“ des Wiener Meisters vor der Pause.
Ein Abend, bei dem es zu Recht Standing Ovations gab.