New Fall Festival Der Eröffnungsabend des New Fall Festivals und sein Kontext
Düsseldorf · Künstlerin Mine war in vielerlei Hinsicht eine gute Wahl für das erste Konzert.
Bei der Eröffnung des New-Fall-Festivals ging es in vielerlei Hinsicht um Kontext. Kontext ist etwas sehr Zentrales, sowohl wenn es um politische – das Festival ist auch durch das New-Fall-Forum betont politisch – gesellschaftliche, soziale oder auch eben musikalische Phänomene geht. Was heißt es in unserem Fall genau?
Zunächst ist der Kontext des Robert-Schumann-Saals für ein alternatives Popkonzert ein ungewohnter, bewusst und auf schöne Weise auch reibungsvoller. Der bestuhlte Kammermusiksaal atmet die Aura von Kunstmusik, von kunstvollem Diskurs, der für gewöhnlich eine andere Sprache nutzt als Charts-Musik. Jene muss vornehmlich unterhalten, da stören bisweilen ästhetische Reibungspunkte, ja sind sogar bewusst zu vermeiden, um dem Hörer möglichst eingängige Dreiminuten indes mit Fancy-Factor in die Ohren zu flößen. Also entsteht schon mal allein dadurch, dass Pop – sei er auch selbst intelligent und alles andere als Mainstream – in diesem Saal zu Besuch ist, ein neuer Kontext.
Zweitens ist die Musik, die an diesem Abend das Festival eröffnete, an sich schon ein raffiniertes Spiel mit musikinhärenten – also innermusikalischen – Kontexten, denn Mine, eigentlich Jasmin Stocker, ist eine Meisterin der Kontextualisierung. Die 1986 geborene Künstlerin hat sich zunehmend auch jenseits spezialisierter Peergroups einen Namen als Produzentin und Songschreiberin und schließlich auch als sympathisch authentische Performerin, die gerne immer einen Hauch von Augenzwinkern im Subtext mit sich trägt, gemacht. Denn ihre Songs, die an der Oberfläche viele Attribute von Pop in sich tragen, sind viel mehr Musik über Pop als Pop selbst. Ganz postmodern lässt sie unterschiedliche Einflüsse miteinander reagieren, wie eine Puppenspielerin, die eigentlich altbekannte Klänge dazu nutzt, um ihre eigene kunstvoll gestrickte Geschichte zu erzählen.
Die Künstlerin wirkt fast wie eine Wissenschaftlerin
Mine – gekleidet an diesem Abend in eine Art weiße Tunika, die sie hinter ihrem Stage-Piano fast ein bisschen wie eine experimentierende Wissenschaftlerin aussehen lässt – und ihre Band nutzen alle Register der Pop-Sprache und auch die bisweilen untiefen deutscher Sprache, um Kunstprodukte zu schaffen, die auf mehreren Ebenen funktionieren. Auf der Oberfläche sind es bisweilen etwas gespreizte Indie-Pop-Songs, mit scharfer Zunge und gerne auch einem ordentlichen Hauch elektronischem Schmierstoff. Auf der zweiten Ebene entdeckt man unzählige Bezüge zur Musikgeschichte, ob bewusst oder unbewusst eingeklebt – so heißt ihr neues Album auch folgerichtig „Klebstoff“ – in eine teilweise etwas melancholisch zwiespältige Stimmung. Auf der dritten Ebene finden wir Kunst, Musik über Pop mit den Mitteln von Pop, die ästhetische Auseinandersetzung evoziert. Das klingt gerne auch mal nach Retro-J-Rock leider längst vergessener Bands aus Japan, nach intelligentem deutschen Hip-Hop à la Max Herre, nach Ich-bin-tiefsinnig-Seicht-Pop oder nach großer Elektro-Pop-Ballade mit schön schrägem Gesang.
Kontext, Kontext, Kontext – Mine ist ein Chamäleon, die gerne auch mal Schnipsel aus einer als Kind aufgenommenen Kassette nutzt, um ihre Anmoderationen zu würzen. Eine, die auch mal unter ihrem wild verkabelten Keyboard schlüpft, um Effekte umzustecken.
Und drittens gab es an diesem Abend noch mehr Kontext. Zu finden etwa bei den Begrüßungsworten am Anfang von New-Fall-Macher Hamed Shahi. Der sein „Heimat“-T-Shirt, das er unter seiner lässig geöffneten Jacke trug, als Anlass nahm, über den politischen Diskurs im Kontext vom New Fall zu sprechen. Auch etwa der Frage nachzugehen, wie es sich, je nach Kontext, mit der Verwendung des Begriffs „Heimat“ verhält, um den es bei dem ersten Panel des New-Fall-Forums ging. Sein Fazit: „Solche Begriffe wie Heimat sollten wir nicht den Rechten überlassen“. Wir wollen gerne mit Mines Worten schließen: „So viel es geht, die eigene Stimme nutzen…“.