Forum Freies Theater Wera Mahne: Ihre Lieblingsgebärde ist ein Faustkuss
Die Regisseurin bringt im FFT Juta Gehörlose und Hörende mit dem Kinderstück „Wach!“ auf die Bühne.
Düsseldorf. Wera Mahne stampft kräftig auf. Die Regisseurin verschafft sich bei der Bühnenprobe Aufmerksamkeit, indem sie den Boden im FFT Juta in Schwingung versetzt. Das ist wichtig, denn zwei ihrer drei Hauptdarsteller sind gehörlos.
Wenn die Düsseldorfer Theatermacherin erklärt, wie sie die Szene der beiden besten Freundinnen gespielt haben will — eine erzählt mit der Stimme, die andere gleichzeitig mit den Händen —, steht neben ihr eine Gebärdendolmetscherin. Es dauert, bis sich alle verstanden haben. Darum geht es in „Wach?“, einem Theaterstück für gehörlose und hörende Kinder ab sechs Jahren, das am kommenden Sonntag Premiere hat.
Erzählt wird eine Geschichte von drei Freunden, die sich gut kennen und eine letzte Nacht miteinander verleben. Sie werden auseinandergehen, schon morgen. „Alles hört auf, alles ist neu“, fasst die 1983 geborene Regisseurin die Situation auf der Bühne zusammen. Entstanden sind die Texte im vergangenen Sommer in Workshops mit Kindern der Gehörlosenklasse an der Gerricusschule. Zum Bilderbuch „Stormy Night“ von Michèle Lemieux hat sich Mahne von den Grundschülern Träume erzählen lassen. Daraus ist „Wach?“ entstanden.
„Die Kinder haben ganz spannende und unlogische Geschichten erfunden, in denen Realität und Traum sich überschneiden.“ Als Regisseurin interessiert sie die Frage: „Wie viel kann ich überhaupt von mir preisgeben?“ Und, dass Freunde sich mit wenigen Worten verstehen können. Die Zweisprachigkeit auf der Bühne und das Bemühen um Verständigung unterstütze das. „Gebärdensprache hat viel zu tun mit dem eigenen Körper, der Persönlichkeit und der Ausdrucksweise und eben auch dadurch mit Theater.“
Die beiden besten Freundinnen etwa erzählen von einem Besuch im Einkaufszentrum. Irgendwann gehen ihre Geschichten auseinander, für die eine ist ein rosa Kleid die Sensation, für die andere ein kleiner Hund. Verstehen kann man sie beide, egal welche ihrer Sprachen man spricht.
Seit vielen Jahren beschäftigt Wera Mahne das Thema. Sie hat in Hildesheim und in Portugal studiert und dort selbst erlebt, wie es ist, die Lautsprache nicht oder nicht gut verstehen zu können. „Damals habe ich ein Stück ohne Sprache und Ton für Kinder an einer Gehörlosenschule gemacht.“ In Hannover realisierte sie Musiktheater im Amtsgericht für Gehörlose und Hörende und auch ihre Diplomarbeit schrieb sie zu „Die Ästhetik der Gebärde“.
Ihre eigene Lieblingsgebärde ist ein Kuss auf die Faust, die dann nach vorne schnellt. „Man kann das nicht wirklich übersetzen, es heißt so etwas wie mögen, lieben oder etwas gerne schmecken.“ Gebärdensprache ist eigenständig und keine Behelfssprache, stellt sie klar. Seit 2002 sei sie in Deutschland als vollständig anerkannt, viel später als in anderen Ländern.
2014 war Mahne NRW-Stipendiatin am FFT und hat zu Theater und Inklusion geforscht. Ihre Fragen: Welche Barrieren gibt es? Und welche Barrieren gibt es in den Köpfen?
„Treppen wegzumachen ist nicht genug“, sagt sie. Da sie aber viel mehr eine praktische Theaterfrau als eine Wissenschaftlerin ist, hat sie sich nun mit „Wach?“ auf künstlerischer Ebene mit den Antworten beschäftigt.
Die Darsteller auf der Bühne sind Profis, ausgebildete Schauspieler und in der Gebärdensprachen-Szene bekannte Größen. Das ist ihr wichtig. 2011 ist Mahne nach Düsseldorf gekommen. Sie hat am Jungen Schauspielhaus als Regie-Assistentin gearbeitet. Ihre Inszenierung „Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“ 2014 war ein großer Erfolg. Nun also „Wach?“