Sondertraining nach Lockdown-Zeiten Tanz-Compagnie kehrt zurück zu alter Fitness
Düsseldorf · Nach dem Lockdown fehlen vielen Tänzern Kraft und Koordination. Medizinerin Larissa Arens hat für sie ein Programm entwickelt.
Mit dem grandiosen Ballettabend „Lost & Found“ verabschiedete sich die Compagnie von Demis Volpi in die Sommerpause. Eine Abfolge von zwei längeren Stücken und einer Serie virtuoser Miniaturen, in denen verheißungsvoll aufblitzte, was seit weit über einem Jahr nicht mehr möglich war: Berührungen oder gar ein Pas de deux. Bisher verhinderten die strengen Abstandsregeln jegliche Nähe der Tänzer, die sich außerhalb der Bühne und der Proben nirgendwo begegnen durften. Jeder trainierte für sich allein. Was das bedeuten würde, hat Volpi früh geahnt: „Da gehen viele Fähigkeiten schnell verloren. Nicht allein Kraft, auch Koordination und bestimmte Bewegungsabläufe, die man nur mit einem Partner einüben kann.“
Bevor es im Ballett einmal wieder läuft wie früher, müssen die Tänzer es erneut beherrschen, ihre Partnerinnen ausdauernd zu heben. Und die Tänzerinnen müssen ein Gefühl dafür bekommen, wieder gehoben zu werden. Bei ihnen ist es daher wichtig, dass Becken, Bauch- und Rückenmuskulatur stabil und geschmeidig bleiben.
Mit diesem Bewusstsein setzte der Ballettdirektor um, was ihm schon lange vor der Pandemie durch den Kopf ging. „Das Ballett-Training verläuft seit Ewigkeiten nach demselben Schema“, sagt er, „dabei haben sich die Standards im Tanz enorm weiterentwickelt. Auch die Medizin ist auf einem ganz anderen Kenntnisstand.“
Volpi fand es an der Zeit, kompetente fachliche Unterstützung einzuholen, wie es auch im Leistungssport üblich ist. Er schaltete Larissa Arens ein, die das Kompetenzzentrum Tanzmedizin Medicos Auf Schalke leitet. „Ein großer Glücksfall für uns“, berichtet Volpi: „Sie kommt selbst vom Tanz, kennt den Alltag der Tänzer, die Herausforderungen und spezifischen Bedingungen in diesem Beruf.“ Die Medizinerin entwickelte für mehrere Compagnien in NRW spezielle Programme, den Körper athletisch und fit zu erhalten und gleichzeitig den Bezug zum Ballett nicht zu verlieren.
„Ganz klassisch fing ich mit sechs Jahren an zu tanzen und bin es nie wieder losgeworden“, erzählt Larissa Arens: „Auch im Medizinstudium habe ich weitergetanzt. Wer interessiert ist an Bewegung, entdeckt Parallelen und Vorgänge, die sich gegenseitig befruchten.“
Möglichst schnell zurück
zu alter Belastbarkeit
Früh wurde sie Mitglied im Kompetenzzentrum, vertiefte ihre Kenntnisse in Tanzmedizin, erwarb Trainerscheine und bildete sich in Tanzpädagogik fort, um ihre Arbeitsweise besser vermitteln zu können. Während Corona wurde das Thema erst recht relevant. Auch die Rheinoper vertraute auf ihre Erfahrungen. „Die Frage war, wie die Compagnie möglichst zügig ihre Belastbarkeit zurückgewinnen kann“, beschreibt sie: „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wie sich nach der langen Zeit ohne Berührung und Hebefiguren Arbeitsunfälle vermeiden lassen. Wir bedienen uns hier einiger Techniken aus der Sportmedizin.“
Im Kraftraum des Balletthauses wenden Doris Becker und Nelson López Garlo das Übungsprogramm der Ärztin an. „Noch nie kam es vor, dass ich so viele Monate kein richtiges Training hatte“, sagt der Tänzer aus Uruguay: „Es kostet Mühe, das wieder aufzuholen. Ganz extrem war es am Anfang der Pandemie, da habe ich in meinem Wohnzimmer die Möbel umgestellt, um mir etwas Bewegung zu verschaffen. Schrecklich.“ In kleinen Gruppen konnte das Training im Balletthaus bald wieder aufgenommen werden. Aber was für eine Mühsal, das alles zu organisieren. Der Einsatz von Arens sei hilfreich gewesen, bestätigt Garlo: „Wir haben viel versäumt. Es ist nicht so, als käme man aus dem Urlaub zurück und müsse sich nur aufwärmen.“
Doris Becker, die in „Lost & Found“ das bezaubernde Solo „Allure“ tanzte, wusste das Programm ebenfalls zu schätzen: „Die lange Auszeit war heftig. Mein Körper ist mein Instrument, ich spürte die Defizite schon im ersten Lockdown“, erzählt sie: „Sich nicht nur physisch, sondern auch mental an etwas festhalten zu können, tat gut.“ Das tanzmedizinische Training sei die beste Motivation gewesen, gemeinsam weiter durchzuhalten. „Uns allen fehlten die Berührungen und die Innigkeit beim Tanz“, sagt Becker.
Volpi hat mit den Erkenntnissen von Arens noch etwas anderes im Sinn: „An meinem ersten Arbeitstag 2020 wurde in der Compagnie ein Kind geboren. Wenn das kein Zeichen ist, dachte ich. Bei einer so eklatanten Veränderung des Körpers, wie Schwangerschaft und Geburt sie mit sich bringen, muss man eine Tänzerin auf dem Weg zurück begleiten.“ Er habe Wun Sze Chang in dieser Phase eine halbe Stelle angeboten: „So konnte sie mehr Zeit mit ihrem Baby verbringen und gleichzeitig das Trainingsprogramm absolvieren. Das alles gehört zum Leben, die Ballettwelt ist kein Paralleluniversum.“