Mädchen von der Straße erzählen ihre Geschichte

Zum 20-jährigen Bestehen der Kontakt- und Notschlafstelle „Knackpunkt“ teilen die Bewohnerinnen in einer Lesung ihre Erlebnisse.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Sie sind verwahrlost, misshandelt, magersüchtig, traumatisiert oder psychisch krank. In einem Alter, in dem andere Teenager Partys feiern und sich zum ersten Mal verlieben, haben sie schon mehr Leid gesehen als manche Menschen in einem ganzen Leben.

In der Kontakt- und Notschlafstelle „Knackpunkt“ wird Mädchen und jungen Frauen von 14 bis 27 die Möglichkeit auf einen Schlafplatz, eine Dusche und Mahlzeit gegeben. Viele von ihnen leben auf der Straße, sind drogenabhängig oder prostituieren sich. Das Angebot der Einrichtung ist anonym und kostenlos. „Viele Mädchen bauen erst mit der Zeit Vertrauen auf“, sagt Ina Schubert, die Leiterin des „Knackpunktes“. Anässlich des 20. Bestehens wird eine Lesung mit eigens verfassten Texten der Hilfesuchenden veranstaltet. „Wir haben die Schreibwerkstatt gegründet, weil wir davon überzeugt sind, dass jeder irgendetwas gut kann“, sagt die Leiterin. Viele Mädchen hätten wenig Selbstvertrauen, viele haben die Schule abgebrochen und fühlen sich ungebildet. Die Texte geben einen Einblick in das Erleben der Frauen. Sie sind mal traurig, mal lustig. Bei der Lesung werden Kurzgeschichten und poetische Texte vorgelesen, zum Teil von den Autorinnen selbst. Die Aufsätze sind bereits in mehreren Büchern erschienen, so etwa dem Sammelband „Das orangene Sofa“.

„Die Mädchen können sich uns anvertrauen, müssen das aber nicht“, sagt die Leiterin. In anderen Aufnahmestellen müssten sie sich an Regeln halten, etwa um 22 Uhr auf ihren Zimmer sein, hier gibt es diese Einschränkungen nicht. Für einige so etwas keine Option, weil sie sich nicht allein aufhalten können. Deshalb bieten die Mitarbeiter Betreuungen und Begleitungen an, etwa zu Behörden.

60 Prozent der finanziellen Mittel kommen von der Stadt, der Rest wird durch Spenden finanziert - auch Sachspenden. Nur durch den Einsatz der Düsseldorfer sei es möglich gewesen, von anfangs drei Nächte pro Woche heute sieben anbieten zu können, erklärt Schubert. Sogar an Weihnachten und Silvester können junge Frauen hier Zuflucht suchen. Da ihr gesundheitlicher Zustand oft desolat ist, begleiten die Mitarbeiter sie häufig zum Arzt oder ins Krankenhaus.

„Unser Ziel ist es die Klientinnen wieder ins soziale Leben zurückzuführen. Dabei sehen wir jeden kleinen Schritt als Erfolg. Ob jemand wieder einen Personalausweis hat oder nach langer Funkstille mit seiner Mutter telefoniert“, sagt Schubert.

Aus dieser Philosophie setzt sich auch der Name der Organisation zusammen: „Knackpunkt“ bezeichnet nicht den einen Moment, indem sich das Leben verbessert, sondern die vielen kleinen, in denen es „knackt“ und man sich beginnt, in die richtige Richtung zu bewegen. Dabei sollen die Klientinnen zur Ruhe kommen und nicht den Druck spüren, zum Beispiel sofort eine Ausbildung zu beginnen.

Etwa 200 Frauen im Jahr besuchen die Hilfseinrichtung, ungefähr 140 werden intensiver oder regelmäßiger betreut. Innerhalb der zwei Jahrzehnte Bestand haben sich viele der Einzelschicksale zum Guten gewand: „Manchmal halten wir den Kontakt zu unseren Mädchen, manchmal melden sie sich selbst nach Jahren wieder und haben eine Familie gegründet“, berichtet Schubert.

Aber nicht jede Geschichte geht gut aus. Manche Betroffenen kommen nicht von ihrer Sucht los, ihnen gelingt der Weg zurück in die Gesellschaft nicht: „Wir wissen von einem Mädchen, die über Jahre von ihrem Vater vergewaltigt wurde und Drogen nahm, um nicht immer daran zu denken.“ Im „Knackpunkt“ wurde ihr eine Therapeutin vermittelt. Doch sie wurde rückfällig. Mittlerweile ist die junge Frau verstorben.