Haareschneiden in der Bahnhofsmission „Barber Angels“: Ein Lächeln, ein Haarschnitt, ein Kaffee
Die „Barber Angels“ haben zum zweiten Mal Halt in der Bahnhofsmission in Krefeld gemacht. 130 Hilfsbedürftige interessierten sich für das kostenlose Friseur-Angebot.
Krefeld. „Ich hatte richtig dicke Wolle auf dem Kopf, jetzt ist es perfekt. Lange Haare mag ich nicht mehr, aus dem Alter bin ich raus“, sagt Klaus Hartmann, nachdem eine junge Frau in Rockerkluft ihm die Haare geschnitten und frisiert hat. „Die ganze Sache finde ich total gut, ich sage immer Freunden Bescheid und es sind bestimmt 20 Leute aus dem Methadonprogramm hier“, sagt Hartmann, der gerade einen Rauschgiftentzug macht. Bereits zum zweiten Mal lässt er sich von den „Barber Angels“ in der Krefelder Bahnhofsmission kostenlos den Kopf frisieren. Zu einem normalen Friseur geht Hartmann ungern, doch bei den „Barber Angels“ fühlt er sich wohl. Berührungsängste von seiner Seite aus? Fehlanzeige!
Umgekehrt gilt das auch. Die Engel in Lederjacken richten auch die filzigste Mähne oder den zotteligsten Bart wieder her. „Die Idee ist einfach sagenhaft. Das ganze Selbstbild wird verändert“, schwärmt Annelie Plümer, Leiterin der Bahnhofsmission. Im Vorfeld habe man alle Organisationen informiert, die sich um Hilfsbedürftige kümmern. Insgesamt 130 Anmeldungen seien eingegangen. Willkommen sei jeder, der das Angebot in Anspruch nehmen möchte. Darunter fallen Obdachlose genauso wie Senioren mit kleiner Rente.
Im November hatten die „Barber Angels“ schon einmal die Bahnhofsmission besucht. „Es ist ganz toll, dass die Aktion keine Eintagsfliege ist“, sagt Plümer. Auch Ludger Firneburg, Geschäftsführer der Krefelder Diakonie, ist von der Aktion begeistert. Seine Beobachtung: „Der Gang wird nach dem Frisieren aufrechter.“
Tanja Knuth ist seit knapp einem Jahr Mitglied der „Barber Angels“. In ganz Deutschland gebe es 120 von ihnen. Derzeit würden die „Angels“ in Chapter aufgeteilt werden, wie es im Biker-Jargon so schön heißt. „Es ist wie in einer Familie, jeder steht für den anderen ein und man wird direkt integriert“, sagt Knuth. Die junge Frau ist hauptberuflich Sozialarbeiterin. Eine Friseurausbildung brauche man nicht, um Mitglied zu werden.
Schaden tut es aber auch nicht, wie Kyra Sikorski bestätigt. Die 27-Jährige arbeitet als Friseurin in Krefeld und schneidet an diesem Tag zum ersten Mal Hilfsbedürftigen die Haare. „Ich bin total nett aufgenommen worden und alle sind mit Leidenschaft dabei“, erzählt sie. Zum Abschied wird den Besuchern des provisorischen Friseursalons noch eine Geschenkbox überreicht, in der sich Pflegeprodukte befinden.
In der Bahnhofshalle sitzt ein Mann im mittleren Alter auf dem Boden. Auch er hat die Geschenkbox erhalten. Seine wirklichen Probleme werden dadurch jedoch nicht gelöst. Für die Nacht werden Temperaturen im Minusbereich vorhergesagt und der Mann weiß nicht, wo er schlafen soll. „Ich hoffe auf ein Bett in der Notschlafstelle, ansonsten muss ich mir irgendwas anderes suchen. Ich habe einen Schlafsack, aber es ist einfach unglaublich kalt in der Nacht“, erzählt er.
Seinen Namen möchte er nicht nennen. Er komme aus Kasachstan und lebe seit 18 Jahren in Deutschland. „Seit 2010 ist mein Leben beschissen. Ich hatte Arbeit, eine Frau. Die hat mich aber rausgeworfen und arbeiten kann ich auch nicht mehr, mein halber Magen wurde wegen Krebs entfernt.“
Seit knapp fünf Monaten lebe er auf der Straße. „Wenn man keinen warmen Schlafplatz findet, muss man die ganze Nacht auf den Beinen bleiben und laufen, sonst erfriert man“, sagt er. Er sei dankbar für das Angebot der „Barber Angels“, aber noch mehr als über einen frischen Haarschnitt oder einen heißen Kaffee freue er sich auf den Frühling. Der sei so schön mild.
Doch beim Verlassen der Bahnhofshalle ist über dem Ostwall keine warme Sonne zu sehen — stattdessen beginnt es zu schneien.