Martin Schläpfer im Interview: „Ich glaube, dass war’s dann als Tänzer“
Martin Schläpfer kehrt mit 55 Jahren auf die Bühne zurück. In der WZ spricht er über Glück, Disziplin und die Crux einer Muskelverletzung.
Herr Schläpfer, Zinédine Zidane und Henry Maske ist es im fortgeschrittenen Alter gelungen, sich auf den Punkt fit zu machen. An wen denken Sie, wenn Sie jetzt, mit 55 Jahren, noch einmal als Tänzer auf die Bühne zurückkehren?
Martin Schläpfer: Vor allem an mich selbst, früher als Tänzer. Und natürlich an Mikhail Baryshnikov, der lange getanzt hat. Ich lerne grundsätzlich von Menschen, die es geschafft haben, gut in Form zu bleiben — physisch und psychisch.
Läuft das Tanzen einfach so weiter? Das heißt: Ist es nicht das eigentliche Glück zu wissen: einmal Tänzer immer Tänzer?
Schläpfer: Ja, ich genieße diese Zeit sehr. Ich bin im Dialog mit mir selbst, und das tut gut. Auch wenn ich natürlich weiter in die Realitäten eines Ballettdirektors eingebunden bin. Aber ich muss sonst viel nach außen kommunizieren: mit dem Orchester, den Tänzern oder über das Budget.
Das Glück verlangt Mühe: viel schlafen, gesund essen. Aber Askese kann ja auch lustvoll sein, meint jedenfalls Friedrich Nietzsche.
Schläpfer: Ich bin jemand, der, wenn er keine körperlichen Höchstleistungen bringen muss, auch wieder loslässt. Für einen Tänzer ist es zum Beispiel eine kleine Rebellion, wenn er sich nicht dagegen wehrt, dass er an Gewicht zunimmt. Ich selbst muss vermutlich erst auf dem Boden aufschlagen, um wieder aufzusteigen. Aber die Zielorientiertheit ist mir dabei eine Hilfe.
Wie programmieren Sie sich auf Ihre Leistung?
Schläpfer: Anfangs dachte ich, ich beginne Ende Mai sofort nach der Uraufführung von „Deep Field“. Aber ich war so dicht in mir und mit Terminen, dass ich den Trainingsstart in die Sommerferien legte. Dann habe ich aber noch mal zwei Wochen gebraucht, bis ich anfing. Dieses Mal ist es schwieriger und härter für mich gewesen, in Form zu kommen als vor zwei Jahren, als ich in „The Old Man and Me“ getanzt habe. Ich wusste ja nicht, was kommt. Was Hans van Manen kreieren würde.
Warum ist es dieses Mal härter?
Schläpfer: Ich habe mir den Innenmuskel am Oberschenkel verletzt. Also den Muskel, den man als Tänzer ständig braucht, für Sprünge oder beim bloßen Stehen. Hans war sehr verständnisvoll, aber für mich war es hart. Ich dachte, ich könnte meine Fähigkeit als Tänzer noch mal toppen. In meiner Vorstellung musste ich noch besser sein.
Wie behandeln Sie die Verletzung?
Schläpfer: Mit Spritzen aus Enzymen, Traumeel und etwas Cortison.
Hans van Manen hat die Uraufführung „Alltag“ für Sie geschaffen. Worum geht es darin?
Schläpfer: Das Stück handelt von einem Choreografen. Von Hans, von mir, ich weiß es nicht. Jedenfalls hat er Material meiner Choreografien in seine Kreation integriert. Zum Beispiel aus „7“ zu Mahlers 7. Sinfonie oder „Partita Nr. 6“ von Bach. Anfangs wusste ich nicht recht, was ich davon halten soll. Es ist jedoch ein wunderbares Geschenk.
Ist Ihr Alltag nicht eher ein Ausnahmezustand?
Schläpfer: Ja, das ist so. Alltag im Sinne von Geborgensein kenne ich nicht. Natürlich beherrsche ich ein Instrumentarium für meinen Job. Ich persönlich bin jedoch vor jeder Probe und vor jedem Training nervös.
Hans van Manen und Sie kennen sich schon sehr lange. Er vertraut Ihrer Compagnie seine Werke an. Das ist ein großer Vertrauensbeweis.
Schläpfer: Ich habe 1979 zum ersten Mal ein Stück von ihm getanzt. Damals war ich jedoch viel zu ehrfürchtig, um in ihm einen Freund sehen zu können. Das hat sich ab 1994 entwickelt. Er war der Erste, der über meine choreografische Arbeit gesagt hat: Mach das, du kannst das. Und er ist bis heute der Einzige, mit dem ich über meine Arbeit, über Tanz und über Kunst rede. Trotzdem sind wir grundverschieden.
Wie würden Sie Ihre Beziehung beschreiben?
Schläpfer: Für mich als Direktor ist Hans ein großer Meister. Als Choreograf ist es wunderschön, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen. Und als Mensch gibt er mir viele Impulse. Es ist unfassbar, aber ich habe ihn noch nie jammern hören. Er wird wütend, aber jammern — nein.
Kann der Choreograf Martin Schläpfer es zulassen, nur Tänzer zu sein?
Schläpfer: Ja, unbedingt. Ich möchte Instrument sein. Mich interessiert nicht, welcher Schritt es ist, sondern ob ich ihn gut mache.
Sie haben in einem WZ-Interview im vergangenen Jahr gesagt, Sie investierten jetzt Ihre stärksten Jahre. Was kennzeichnet diese?
Schläpfer: Ich denke bewusster darüber nach, was will ich und was nicht. Ich persönlich bin jetzt am nächsten an mir dran. Aber das schmerzt auch, weil man erkennt, was fehlt. Vielleicht frage ich mich deswegen, ob nicht der Mensch gegenüber dem Ballettdirektor zu kurz gekommen ist. Herrje, das Tänzer-Sein hat anscheinend viel nach oben geholt. Ich will gar nicht so melancholisch sein. Ich glaube aber, das war’s dann auch als Tänzer.
Das weiß man nie.
Schläpfer (lacht): Ja, vielleicht starte ich mit 70 eine Solokarriere in Butoh. Ich hoffe jedoch nicht.