Silent Disco Walking Tours Musik an, Schamgefühl aus — und los (mit Videos)
„Silent Disco“ ist ein Trend aus Melbourne. Jetzt tanzen auch in Düsseldorf die Menschen mit Kopfhörer durch die Altstadt.
Düsseldorf. Die 30 Männer und Frauen stehen auf dem Burgplatz, Kopfhörer über den Ohren, und hauen sich alle selbst auf den Hintern. „Nein! Man muss es durch die Kopfhörer hören“, fordert das Männlein in Orange in der Mitte. Alle hauen noch mal zu. Mit Schmackes auf den eigenen Po. Es klatscht schön laut. Das Männlein ist zufrieden und geht in die nächste Pose: Linke Hand in die Hüfte, die rechte reckt sich empor zum Himmel, wo die großen Diven des Disco wohnen, den Zeigefinger ausgestreckt. Alle machen es nach und stehen so vor dem Schlossturm — ein kollektives Standbild in der legendären Pose John Travoltas aus „Saturday Night Fever“. Es soll Yoga sein. Oder Tanz oder beides. Auf jeden Fall befreiend.
Guru Dudu alias David Naylor hat schon halb Melbourne befreit. Dort veranstaltet er seit vier Jahren die „Silent Disco Walking Tours“ — getanzte Stadtspaziergänge mit Kopfhörern und lauter Musik. So machen sich im Sommer gleich mehrfach täglich in der australischen Großstadt Gruppen gewollt zum Gespött der Leute: Sie selbst hören die Musik und bewegen sich dazu, die Umwelt sieht nur sinnloses Gezappel. Und derlei Befreiung importiert der Guru jetzt nach Europa, ist nach Gastspielen in Schott-, Ir- und England nun Gast des Düsseldorf Festivals. An diesem Wochenende wird Düsseldorf zu seiner Disko.
Es ist eine ungewöhnliche Truppe, die sich zur Premiere am Donnerstagabend am Burgplatz auf den Po klatscht. Ein paar Touristen, junge Frauen, aber auch das ältere Ehepaar Hans und Inge Euler. „50 Minuten tanzen — das schaffen wir“, ist die 74-Jährige überzeugt. Zwei Freundinnen sind noch nervös: „Wir haben uns ein bisschen Mut angetrunken“, gesteht Kristina (24). Aber sie wollten eben „einfach mal was Anderes machen — aus sich herauskommen“, erklärt Claudia. Und das werden sie.
Nach etwas „Happy Yoga“ und Hinternklatschen geht es zu funkigem Sound Richtung Rathaus. Guru Dudu in quietschorangenem, hautengem Anzug mit superkurzen Shorts vorneweg. Über ein Mikro am Headset gibt er Anweisungen direkt in die Ohren der Tourteilnehmer. Die sollen vor der Jan-Wellem-Statue einen japanischen Touristen imitieren, der sie filmt, dann eine Gasse für ein durchfahrendes Taxi bilden und ihm mit kreisenden Handbewegungen einen „Car-Wash“ verpassen. Vor dem Uerige erklärt Dudu, was er über den Radschläger — den „Cartwheel-Man“ — weiß. Wer eine profunde Stadtführung haben wollte, ist hier ganz klar an der falschen Adresse. Wer aber immer schon mal mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen gleich der Radschläger-Silhouette neben den Biertischen des Brauhauses unter irritierten Blicken herumhüpfen wollte, der fühlt sich hier eben ganz frei.
Freiheit, das ist Guru Dudus ganzer Antrieb. „Wir sind zu viel in unserem Kopf“, glaubt er und will „mehr Rhythmus und Spontanität in den Körper“ bringen. Damit begann er mal bei seinem eigenen Geburtstag, als er eine Playlist erstellte, seine Kumpels mit Kopfhörern ausstattete und nachmittags in einem Melbourner Park feierte. Die Idee, dass Party nicht nachts und besoffen, sondern bei Tageslicht und nüchtern passieren könnte, begeisterte ihn. Und inzwischen hat er festgestellt: Die laute Musik, die den Einzelnen zwar mit der Gruppe anderer Tänzer vereint, vom Rest der Welt aber abkoppelt, reicht als Rauschmittel eigentlich aus. Dass jemand abbreche, passiere „meistens nie“.
Bei dieser ersten Düsseldorfer Tour steigt irgendwann dann doch das Ehepaar Euler aus. Was aber wohl daran liegt, dass Guru Dudu maßlos überzieht. Statt 50 Minuten gibt es fast anderthalb Stunden. Als in der Bolkerstraße die Gruppe eine Gasse bildet und immer zwei Teilnehmer gemeinsam hindurchtanzen, rocken sie noch voll mit. Auch als die Tour vor der Andreaskirche in den Besucherpulk eines Klassikkonzerts desselben Festivals platzt und zu „Lady Marmalade“ das Bildnis von „Mama Ey“ antanzt — spätestens jetzt ist ohnehin keinem mehr etwas peinlich, in der eigenen Welt aus Gruppengefühl und Musik alles erlaubt. Aber als die Ehrenrunde Richtung Freitreppe startet, wo die Tourteilnehmer im Dämmerlicht „Bohemian Rhapsody“ unter weiteren irritierten Blicken schmettern und zum Finale eine arme, dort wohl Entspannung suchende Frau in ihre Mitte nehmen, sind die Eulers doch mal weg.
Kristina und Claudia indes sind mit hochroten Gesichtern bis zuletzt dabei. „Ich bin fertig!“, lacht Claudia, und die Freundin jubelt: „Richtig cool!“ Auch der junge Schwede Jesper (24), der gerade für ein Praktikum in Düsseldorf ist und zufällig einen Flyer der Tour in die Finger bekommen hatte, sagt: „Ich habe jede Minute geliebt.“ Hat man gemerkt, als er über Pfosten Bocksprünge machte und Passanten einfach mal seine Kopfhörer aufsetzte. Bei den „Silent Diskco Walking Tours“ ist man eben mal so frei. Und jeder Teilnehmer glaubt Guru Dudu dessen Botschaft zum Abschluss: „Fröhlichkeit ist immer nur einen Disco-Song weit weg.“