Konzert Musik wie im Breitwandformat aus der Traumfabrik
Düsseldorf · Gerstein und Sirvend lassen Rachmaninow und Gershwin in der Tonhalle in ganzer Pracht leuchten.
Rachmaninows rauschende „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ und Gershwins swingende „Rhapsody in Blue“ — knalliger und melodienreicher geht’s kaum. Eine musikalische Trüffelpralinen-Schachtel de Luxe im XXL-Format — mit einer solchen bescheren die Symphoniker ihre Abonnenten und Fans kurz vor Weihnachten im letzten Sternzeichen (Abokonzert) des Kalenderjahres.
Unter der Leitung von Jesko Sirvend, der genauso gerne auf die Pauke haut wie Kirill Gerstein am Steinway donnert, treiben sie Klangpracht und cremigen Sound auf die Spitze. Alles glitzert und funkelt, manchmal knallt es auch lautstark. Und die Symphoniker spielen stilecht, fast so elegant, schmissig und schmusig wie das legendäre Hollywood-Bowl-Orchestra. Breitwandformat aus der Traumfabrik. Einfach nur zum Genießen. Und mit Ohrwürmern zum Mitsummen.
Natürlich lassen Dirigent, Pianist und Orchester stets einen Schuss Ironie durchblinzeln. Und entfachen mit den beiden Werken für Klavier und großes Orchester, die das Etikett „Wunschkonzerte“ weder scheuen wollen noch können, Heiterkeit, Begeisterung und Jubel.
Bei Rachmaninov betören erst einmal die betonten Akzente. Der amerikanische Pianist Gerstein, mit russischen Wurzeln und Wohnsitz in Berlin, fasziniert durch spielerische Leichtigkeit, mit der er die hüpfenden Paganini-Akkorde zum Leuchten bringt. Er legt los, langt zu, aufgeblähtes Forte auch bei den Blechbläsern. Plötzlich zart perlende Triller und Akkordketten. Hier huscht Gerstein nur über die Tasten und beweist lyrische Intensität und Anschlagkultur vom Allerfeinsten. Dann wieder Glanz überall. Beinah fühlt man sich wie in einem Schlitten, der durch das vorweihnachtliche New York gleitet, dekoriert, wie es die „Amis“ mögen, mit haushohen Weihnachtsmännern und monumentalen Weihnachtskugeln.
In der seufzenden Melodie langen Streicher zu, denn Maestro Sirvend lässt Freiraum für viel Gefühl. Doch hier und da, in den waghalsigen Virtuosen-Passagen, spielt Gerstein den nüchternen Gegenpart. Manchmal donnert er zwar los und entspricht dem Klischee der alten russischen Schule. Doch wenn’s so richtig sentimental wird, fast so wie im zaristischen St. Petersburg, wirkt Gersteins Spiel plötzlich cool, präzise, beinah distanziert. Dann vermeidet er Gefühligkeit und Süße. Die Symphoniker indes schwingen weit aus und bringen die ausgeklügelte und effektsichere Instrumentierung von Rachmaninow über die Rampe. Sie kultivieren Opulenz und versprühen duftiges Parfum.
Ähnlich in Gershwins „Rhapsodie in Blue“. Hier zeigt Gerstein noch eine ganz andere Qualität: Stilsicherheit und Gefühl für Jazz und Swing. Locker, beiläufig und schweißlos zelebriert er die kniffligen Rhythmen ebenso wie die Melodien. Angeführt vom Klarinetten-Solo (Wolfgang Esch in Hochform!) entfachen sie Tempo und sprühende Dynamik, fast wie in einem Tanzfilm. In dieser 1924 uraufgeführten „Rhapsody“ spürt man deutlich, dass Gershwin Lenny Bernstein zu seiner „West Side Story“ inspirierte, die 33 Jahre später in New York City herauskam.
Im zweiten „Sternzeichen“-Teil führen Dirigent und Orchester in eine andere Welt, in die Monumental-Werk von Jan Sibelius. Voll von magischer Schwere und kolossalen Klang-Gebäuden präsentieren sie die fünfte Symphonie des finnischen National-Komponisten. Von der finnischen Regierung wurde er damals beauftragt, eine Sinfonie aus Anlass seines 50. Geburtstages zu schreiben, der zum nationalen Feiertag deklariert wurde. Ursprünglich komponierte Sibelius sie 1915, überarbeitete sie später zweimal. Sie ist — neben seiner ersten und zweiten Symphonie — immer noch populär, auch hierzulande.
Für die außergewöhnliche Klangwirkung bei diesem Konzert dürfte entscheidend sein, dass Gast-Dirigent Sirvend die acht Kontrabässe nicht am Rand, sondern in direkter Sichtachse zu ihm, hinter die Blechbläser, setzte. Und den Schlagzeuger rechts am Rand platzierte. So entsteht ein fließender weit ausholender, alles umhüllender Streicher-Strom, dem sich kaum jemand entziehen kann. Sibelius’ Blechbläser-Sätze erinnern zudem an österreichische Großmeister der Spätromantik. So wird der Finne gerne als „Bruckner des Nordens“ tituliert. Auch in seinen (für ihn typischen) reibenden Streicher-Akkorden lassen sich schnell Naturschilderungen erkennen. Wie Gesteinsmassive schieben sich Streicher- und Bläser-Gruppen der Symphoniker in- und übereinander und lassen Zuhörer bis zur finalen „Verrücktheit“ aufhorchen. Die sechs schneidenden Akkorde zum Schluss werden unterbrochen von extrem langen Pausen, die Dirigent und Orchester auskosten und so die Spannung bis zur letzten Sekunde bewahren.
Am Montag noch einmal: 20 Uhr, Tonhalle. Resttickets, Tel.: 91 38 75 38