„Nur im Spiel ereignet sich Freiheit“

Felix Ensslin inszeniert am FFT ein Stück, das von Werten handelt, die schon seine Eltern beschäftigten — RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und Schriftsteller Bernward Vesper.

Ensslin erzählt anhand von Animal Farm die Geschichte der Linken.

Die Inszenierung „Animal Farm — Theater im Menschenpark!“ nach George Orwell kreist um die Aussage „Das Spiel ist unsere Waffe“. Erkundet wird das unsichere Terrain, in dem sich der moderne Mensch bewegt. Antworten auf die Frage, wie er es sich schöner einrichten kann, gibt es nicht.

Foto: W. Filz

Herr Ensslin, vor einem Jahr wurde Donald Trump gewählt. Daraufhin gelangten Werke wie „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley und „Animal Farm“ von George Orwell an die Spitze der Buchcharts. Welchen Zusammenhang sehen Sie?

Felix Ensslin: Die Frage ist doch wohl eher, welchen Zusammenhang die Leute gesehen haben, die diese Bücher gekauft haben. Die liberale Welt wurde von dem Wahlergebnis eiskalt erwischt und der erste Sicherheitsort, bei dem sie Halt fand, war anscheinend die Literatur ihrer Schulbildung. Es gibt bis zum Ende des Kalten Krieges sicher niemanden, der diese Romane im Unterricht nicht durchgenommen hat.

Was interessiert Sie an dem Stoff von Animal Farm?

Ensslin: Während der Probearbeiten, zu denen ich erst später dazu kam, wurde deutlich, dass die Geschichte der Animal Farm sich in gewisser Weise in der Geschichte des Agora Theaters wiederfand. Das Theater wurde in den 1980er Jahren gegründet und hatte einen egalitären Grundgedanken. Alle Beteiligten sollten gleichberechtigt sein: Der Spieler, so nennen wir die Schauspieler, kann Techniker sein, der Techniker Spieler. Inzwischen jedoch gibt es einen künstlerischen Leiter, Festangestellte und freie Mitarbeiter mit unterschiedlichen Verdiensten — eine Entwicklung, wie sie alle solche Gründungen der 80er Jahre durchgemacht haben. In Animal Farm heißt es: „Alle sind gleich, aber einige sind gleicher.“ Das beschreibt ziemlich gut die konkrete politische Realität. Ob in der großen Politik oder im Agora Theater.

Also: Revolution gescheitert. Ist das Ihr Thema?

Ensslin: Wir beschäftigen uns mit der Linken Geschichte der vergangenen 50 Jahre. Können Ideen scheitern? Oder besteht die Größe einer Revolution darin, dass sie aus einer Idee entsteht, die unabhängig von unserem Erfahrungswissen bestehen bleibt.

Was ist politische Utopie heute?

Ensslin: Animal Farm ist zunächst eine Dystopie. Wir glauben uns heute immun gegen totalitäre Verführungen. Aber gleichzeitig scheinen wir auch gegen die Hoffnung, den Impuls immun geworden zu sein, im Kollektiv mit anderen eine bessere Welt zu errichten. Spannend war, dass obwohl wir sicher dem dystopischen Gehalt Orwells gerecht werden, viele Zuschauer berichten, sie hätten trotzdem am Ende eine Art Befreiung oder Optimismus gespürt.

Wie steht es um die Freiheit? Ist sie herstellbar?

Ensslin: Wer könnte sie denn für wen herstellen? Gibt es jemanden, der mehr weiß als die anderen, der weiß, was zu tun ist, um Freiheit möglich zu machen? Das wäre vermessen. Deswegen lautet die Möglichkeit der Kunst: Nur im Spiel ereignet sich Freiheit.

Wie kommt es, dass saturierte Gesellschaften die Freiheit bereitwillig aufgeben. Zugunsten von Trump, Orban und Kaczynski?

Ensslin: Vielleicht ist die Veränderung nicht so groß, wie wir es manchmal darstellen. Permanente Effizienzsteigerung, NGO-isierung der sozialen Beziehungen, permanente kulturpolizeiliche Überwachung der Sensibilitäten, Flexibilisierung — das sind alles Stichworte, die eine auch als unfrei erlebbare Gegenwart beschreiben. Vielleicht gibt es Menschen, die dann mit Hilfe von Harlekinen wie Orban glauben, sich dem entziehen zu können.

In einem Interview sagen Sie, dass Sie sich bei Ihrer Inszenierung nicht am Zuschauer orientieren. Wie erzählen Sie die Geschichte also auf der Bühne?

Ensslin: Es geht nicht um den permanenten Imperativ der Partizipation, des Mitmachens und Angesprochenwerdens. Der Zuschauer ist frei, seinen eigenen Assoziationen im Dickicht der Wörter zu folgen. Paradoxerweise kann man das auch durch eine bestimmte Überforderung erreichen, indem irgendwann klar ist: Keiner kann jedem Satz oder jeder Bedeutung folgen. Im Gespräch nach der Uraufführung sagten einige militante linke Aktivisten aus den 70er und 80er Jahren: Ihr braucht doch eine klare Aussage. Das ist nicht mein Ziel. Ich will den Zuschauer nicht nur aufklären, denn auch das würde bedeuten, dass ich mehr weiß als er. Ich bin ein Linker, ich glaube an die Gleichheit aller Intelligenzen und brauche dem Zuschauer nichts beizubringen. Unser Ziel ist nicht, bei ihm einen klassischen Bewusstwerdungsprozess auszulösen, sondern er wird Zeuge einer spielerischen Auseinandersetzung als Reaktion auf unsere eigene Gegenwart.

Klingt nicht pädagogisch.

Ensslin: Auf keinen Fall. Ich bin in meiner Lehre als Professor schon nicht pädagogisch und als Theatermacher erst recht nicht.

Gibt es etwas zu lachen?

Ensslin: Wer schwarzen Humor schätzt, hat zwei Stunden lang etwas zu lachen. Denn eigentlich ist die Inszenierung eine heimliche Komödie. Es gibt auch sehr coole Musik und unfassbar gute Sänger.

Gleichheit, Freiheit, politische Zustände - Sie beschäftigen sich mit Prädikaten, die auch Ihren Eltern etwas bedeuteten. Nervt es Sie, wenn dieser Zusammenhang hergestellt wird?

Ensslin: Das nervt mich natürlich nicht. Wenn wir die vergangenen 50 Jahre der Linken betrachten, ohne auch die unterschiedlichen Wege, die meine Eltern gegangen sind, zu thematisieren, würde etwas fehlen.