Poetry Slam in Düsseldorf: Dichter-Wettstreit für Gehörlose
Beim Poetry Slam standen diesmal Nicht-Hörende auf der Bühne — und Dolmetscherinnen übersetzten für die Hörenden.
Mit solch einem Andrang haben die Veranstalter nicht gerechnet. Die Leute drängen sich auf den Plätzen, in den Gängen und sogar in der Tür zum Flur, als Moderatorin Pamela Granderath die Zuschauer zum Gebärden-Poetry-Slam begrüßt. Organisiert vom DGS-Treff der Graf Recke Stiftung im Hauptbahnhof tragen gehörlose Poeten ihre Geschichten vor, während zwei Dolmetscherinnen diese auch den Hörenden vermitteln.
Rafael Grombelka hat den Workshop geleitet, in dem sich die Teilnehmer auf den Poetry Slam vorbereiten konnten. Mit all seiner Gestik und Mimik fühlt er sich ein in einen Mann mit vernarbtem Gesicht, in eine schwangere 13-Jährige, lässt sich treffen vom Gelächter, das vorschnell urteilt, ohne Hintergründe zu kennen. Die Zuschauer heben begeistert die Hände und drehen die Flächen hin und her. Ein paar klatschen auch laut, schauen sich jedoch schnell den Gebärden-Applaus ab.
Nachdem Ohren und Augen so angewärmt sind, folgen nun die sechs Teilnehmer des Abends. Den Anfang macht Jalani Saleem. Er erzählt von Diskriminierung in seiner Heimat, von der monatelangen Flucht nach Deutschland, wo er sich stark und beschützt fühlt. Lisa Ehrlich erzählt in ihrer Geschichte, dass sie doch nur die Katzen auf dem Hof sehen wollte und dabei aus dem Fenster fiel. Als sie im Krankenhaus aufwachte, musste sie wieder lernen, wie das geht: zu atmen, zu laufen, sich zu erinnern.
Am linken Bühnenrand sitzt Silke Heuser, die das Gezeigte abwechselnd mit ihrer Kollegin Sandra Wolfien für die Hörenden dolmetscht. Dabei geht es weniger um eine Eins-zu-eins-Übersetzung als vielmehr um einen roten Faden für alle diejenigen, die Gebärdensprache nicht verstehen. Heuser übersetzt: „Ich wache auf, ich habe einen Schlauch im Hals“, während sich Ehrlich mit der Hand über den gestreckten Hals fährt. Dabei schaut die Dolmetscherin jedoch nicht auf die Poetin, sondern auf Kurs-Leiter Grombelka, der jetzt in der ersten Reihe sitzt und als Zwischenübersetzer fungiert. Durch den Workshop kennt er die Beiträge der Teilnehmer am besten und weiß genau, welche Informationen für das Verständnis wichtig sind — und welche Bewegungen für sich selbst stehen und auch ohne Erklärung wirken.
Die Emotionen, die auf der Bühne mit dem Gesicht, den Händen und der Schnelligkeit der Bewegungen ausgedrückt werden, überträgt Dolmetscherin Wolfien auf ihre Stimme: „Wo gehst du hin?“, fragt der Wolf in Haydar Asfers Märchen. Darauf das Rotkäppchen erstaunt: „Was, du kannst Gebärdensprache?“ Kann er. Und er weiß auch, dass an die Tür klopfen nichts bringt, wenn die Großmutter taub ist, und betätigt souverän die Blitzlichtklingel. Haydar schafft Verbindungen, zwischen seiner Welt und der Welt der Hörenden, aber auch zwischen alter und neuer Heimat: Er kommt aus dem Irak und habe Märchen erst in Deutschland kennengelernt, dafür sei er dankbar.
Auch Tom-Adrian Woitas, der Gewinner des Gebärden-Slams vor drei Jahren im Hauptbahnhof, dichtete ein Märchen um. Bei ihm verliert das Aschenputtel nicht seinen Schuh, sondern — da Gehörlose mit den Händen gebärden — einen Handschuh. Semir Ajeti wählt dagegen eine andere Symbolik. Ihm kommen die Menschen wie Roboter vor, er sehnt sich nach der Freiheit eines aufsteigenden Luftballons.
Zuletzt zeigt Maria Emrich mit ihrem Beitrag, wie einem das Schicksal manchmal jegliche Pläne zunichtemacht. Mit den Händen formt sie eine Eizelle. Die Befruchtung klappt nicht. Wieder die Eizelle, diesmal klappt es, doch dann wird abgetrieben. Wieder die Eizelle, wieder klappt es, Emrich formt den größer werdenden Bauch, schaukelt ein Kind, lässt mit der aufsteigenden Handfläche das Kind zu einem Mädchen heranwachsen, das in der Pubertät gerne in die Disco geht und links und rechts zwei Männer im Arm hat. Dem dann jemand etwas in den Drink schüttet, so dass es zu früh aus dem jungen Leben scheidet. Gleich einem Tanz fließen die Gebärden ineinander, bis Emrich am Ende ihr Gesicht zum Tod versteinert. „Kreis“ heißt ihr Debüt auf der Bühne, mit dem sie dazu aufrufen möchte, die Entscheidungen von Frauen zu respektieren und zu verstehen, dass nicht immer alles nach Plan läuft im Leben.
Maria Emrich gewinnt den Wettstreit am Ende auch. Sie erhält die meisten Stimmen per Handzeichen. Moderatorin Granderath und Workshop-Leiter Grombelka versuchen, auch die zu zählen, die vom Flur durch die Tür lugen.