Richling blickt in die deutsche Zukunft

Der Kabarettist spielt im Kom(m)ödchen sein neues Programm: Nach reichlich Richling brummt der Schädel.

Foto: Büro MR

Egal, ob’s draußen stürmt, schneit oder beides, wer zu spät kommt, der wird nicht mehr rein gelassen. Auch nicht in der Pause. Es gibt nämlich keine. „Der einzige Künstler, dem ich das gestatte“, seufzt Kommödchen-Hausherr Kay Lorentz am Bühneneingang, hinter dem sich Mathias Richling auf die Zukunft vorbereitet. Auf 2084. Warum 2084? Weil George Orwell 1984 empfahl: „Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich.“

Ein guter Richling, Jahrgang 1953, tritt jedoch nicht zu, sondern stilvoll auf in trendigen Turnschuhen passend zur schwarz-weiß-schrägen Krawatte (war der eigentlich schon mal Krawattenmann des Jahres?). Angesichts der aktuellen Großwetterlage freut er sich, am Premieren-Abend da zu sein. Was nicht alle geschafft hätten. Deshalb würden alle Rollen von Richling übernommen. So kennt und mag man ihn. Oder eben nicht.

Aber der Mann kann’s. Zum Beispiel, was gar nicht einfach ist, Martin Schulz parodieren, wobei er wie schon die SPD den Notnagel auf den Kopf trifft. Damit befinde sich die Partei nun am Anfang einer langen Kondolierungsphase. Woran ein gewisser Lindner nicht unschuldig sein dürfte, diese wahr gewordene Fake News (hier möchte man Fake Nuss schreiben).

Richling gibt nicht nur gekonnt den Türken („Ich sage nicht, dass Erdogan kein Verbrecher ist“), sondern auch den Türken-Darsteller Wallraff, macht sogar den Luther. Der wäre wohl heute in der neuen Kirche Internet eine Art „Blogg-Wart“. Köstlicher Höhepunkt: der shakespeareske Dialog Merkel — Macron als Romeo und Julia Europas.

Zeitsprung 2084: Merkel ist — trotz gesetzlicher Männerquote — immer noch da, der neue Papst homosexuell und verheiratet. Die Zahl der Flüchtlinge liegt bei 93,6 Millionen, Deutsche müssen nach einer Auslandsreise vor der Heimreise ins eigene Land einen Asylantrag stellen. Wenn überhaupt, denn hier wartet die Rente mit 80. Arm zu sein bedarf es wenig.

Fehlt nur noch Helene Fischer. Atemlos sind sowieso schon alle. Mit seinem pausenlosen Programm unter der bewährten Regie von Günter Verdin zielt der routinierte Kabarettist, Parodist, Auto und Schauspieler natürlich nicht mit dem Stiefel aufs Gesicht, sondern mit Geist und spitzer Zunge aufs Hirn. Körperlich drahtig und geistig schwer auf Draht stürzt er sich in den transparenten Kuben des futuristischen Bühnenbildes von einer Rolle in die nächste.

Allein die physische Leitung: Richling sabbelt, babbelt sogar noch mit Zahnbürste im Mund bis auch das letzte angeblich schmutzige Wort aus dem Rachen geputzt ist. Und wenn er mal kurz innehält, dann ist das präzise Dramaturgie, Orwell ohne Zufall. Das kann streckenweise ganz schön anstrengend werden — auch fürs Publikum. Nach reichlich Richling brummt leicht der Schädel. Draußen ist inzwischen Tauwetter. Und bald 2018.