Serie Kiefernstrasse: Hausbesetzungen und Barrikaden
Vor 30 Jahren begannen die Besetzungen. Nach Terror-Razzien kamen die Mietverträge.
Düsseldorf. Als die ersten Besetzer kommen, ist der Abriss der Kiefernstraße längst beschlossene Sache. Über hundert der ehemaligen Klöckner-Werkswohnungen stehen 1981 leer, viele davon sind unbewohnbar. „Es gibt keine Fenster mehr, die Stromleitungen sind herausgerissen, die Toiletten zerdeppert und die Treppenhäuser kaputt“, sagt Norbert Machinek (53). Der selbstständige EDV-Spezialist erinnert sich noch gut an die erste Phase der Besetzungen.
Die Reparaturen übernehmen die neuen Bewohner selbst. „Ohne ,Do it Yourself’ ging gar nichts“, sagt Machinek. Und dass die Materialien für den Umbau nicht immer auf ganz legalem Weg in die Kiefernstraße fanden, nun ja, heute kann er es freimütig zugeben. „Ist ja inzwischen alles längst verjährt.“
Die Wohnungsnot ist groß in den 80er Jahren, immer mehr Menschen strömen in die Kiefernstraße. Werden die ersten Besetzer noch mit Nutzungsverträgen bis zur Räumung ausgestattet, stellt sich die Stadt nach weiteren Besetzungen bald quer. Ein erstes Ultimatum lassen die Besetzer verstreichen, fortan stehen die Zeichen auf Sturm. Ein stressiges Leben beginnt. „Es gab kein entspanntes Wohnen in dieser Zeit“, sagt Machinek. Die Ungewissheit ist zermürbend, im Hinterkopf bleibt stets die Angst vor Razzien oder Räumung. Aber auch unter den Bewohnern, die nie eine homogene Gruppe sind, kommt es zu Spannungen. „Die Kiefernstraße war von Anfang an eine äußerst bunte Mischung“, sagt Machinek. Einige Besetzer hätten von der Weltrevolution geträumt, andere seien eher unpolitisch gewesen. Und dieser bunte Haufen trifft nun auf die wenigen verbliebenen Alt-Mieter.
Die meisten von ihnen sind „Klöckner-Witwen“, die den Großteil ihres Lebens auf der Kiefernstraße verbracht haben. Und die sind zunächst gar nicht angetan von den neuen Nachbarn. „Überall wurde vor uns gewarnt“, erinnert sich Machinek, „und die alten Damen dachten sich: ,Jetzt geht es uns an den Kragen, die Chaoten kommen.’“ Aber irgendwann merken dann auch die Altmieter: „Die sind ja gar nicht so schlecht, die haben nur ein anderes Weltbild und eine andere Auffassung vom Zusammenleben.“ Immer häufiger nehmen die Klöckner-Witwen jetzt auch an Sitzungen des Häuserrates teil, einige übernehmen später auch die Mietverträge der Ex-Besetzer.
Zum ersten Mal eskaliert die Situation im Februar 1986, als weitere Häuser der Straße besetzt werden. Aus sympathisierenden Polizeikreisen erfahren die Bewohner vom bevorstehenden Räumungstermin. Sie errichten Barrikaden aus Sperrmüll, die Polizei zieht ihre Kräfte zusammen. Zur Räumung kommt es nicht. Nachdem die Barrikaden in Brand gesetzt werden, zieht sich die Polizei zurück. Ein Blutvergießen ist gerade noch verhindert worden.
Aber dann geht es Schlag auf Schlag. Im August 1986 wird eine Bewohnerin der Straße in einem Rüsselsheimer Café mit dem RAF-Mitglied Eva Haule verhaftet, es folgen mehrere Terror-Razzien mit bis zu 800 Beamten im Einsatz. „Die Polizisten hatten selbst große Angst. Die haben sogar bei den Altmietern die Türen eingetreten, sind mit der Maschinenpistole im Anschlag in die Wohnungen rein und haben die Leute auf die Betten geworfen und gefesselt“, erinnert sich Machinek an dramatische Stunden.
Für große Teile der Öffentlichkeit ist die Kiefernstraße jetzt das „Terrornest“. Helmut Linssen, damaliger Generalsekretär der NRW-CDU, sagt vor dem Landtag, dass die „Blutspuren des deutschen Terrorismus nach Düsseldorf führen“. Ein Satz, der Norbert Machinek heute noch zusammenzucken lässt.
Hilfe kommt aus einer anderen Richtung. Der neue Sozialdezernent Paul Saatkamp setzt sich für die Straße und ihre Bewohner ein. „Das war unser Glück“, sagt Machinek heute. Saatkamp wollte die soziale Befriedung der Straße, dazu gehörten für ihn auch Sanierung und Mietverträge (siehe Interview). Ohne seinen Einsatz wäre die Geschichte der Kiefernstraße wahrscheinlich anders ausgegangen. Zwei Jahre später, im November 1988, werden aus Besetzern reguläre Mieter der Kiefernstraße.