Schule Ohne Schulbezirke: Einige Schulen bleiben auf der Strecke
Düsseldorf · Bei der Wahl der Grundschule gilt der Elternwille. Das führt dazu, dass einige Schulen gemieden werden, weil Eltern bereit sind, für ihre Kinder weite Wege in Kauf zu nehmen.
Auch wenn der erste Schultag noch in weiter Ferne liegt, einen Eindruck haben sie schon gewonnen. In den vergangenen Wochen konnten Vorschulkinder beim „Tag der offenen Tür“ ihre künftige Grundschule anschauen. Auf Informationsabenden wurden die Vorzüge der jeweiligen Unterrichtsmethoden erläutert. Werbung in eigener Sache gehört für Schulen dazu. Denn seit dem Schuljahr 2007/2008 können Eltern in Düsseldorf wählen, auf welche Schule sie ihr Kind schicken. Schulbezirke gibt es nicht mehr.
Immer mehr Eltern entscheiden sich deshalb nicht für die nächstgelegene Schule, sondern wählen gezielt Schulen aus, die mit Angeboten wie der Montessori-Pädagogik oder einer hohen Anzahl von Betreuungsplätzen werben. Eine andere Schule wird auch gesucht, wenn das eigene Kind vielleicht eines der wenigen ohne Migrationshintergrund an der Schule sein wird. Schulen in Stadtteilen, die als sozial schwach gelten, haben das Nachsehen.
Zum Beispiel in Flingern, Derendorf oder Rath. In den vergangenen Jahren sind viele bildungsnahe Familien in die Stadtteile gezogen. „Neubaugebiete sind dort entstanden und das Wohnen ist attraktiver geworden, aber Eltern wählen für ihr Kind oft eine Schule in einem anderen Einzugsgebiet“, sagt Monika Maraun, Leiterin der Fachgruppe Grundschule beim Stadtverband Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Eltern schauten gezielt nach dem Ausländeranteil und danach, was die Schule bieten kann. Für Schulen in einem Viertel mit einer sozial schwachen Anwohnerstruktur ist das ein Nachteil. „Die Schulen haben keine Chance, obwohl überall gute Arbeit geleistet wird“, sagt Maraun.
Da Eltern aus dem Umkreis nicht zum „Tag der offenen Tür“ kommen, müssen Grundschulen an diesen Standorten gezielt Kindergärten in der Umgebung aufsuchen, um für sich zu werben. „Einfacher wäre es, man würde sagen, das Kind geht auf die nächstgelegene Schule“, sagt Maraun mit Blick auf Freizeit und Freunde, die die Kinder nach der Schule treffen könnten. Zusätzlich würde die Verkehrssituation – auch vor den Schulen – entlastet, da die meisten Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur weiterentfernten Wunschschule kutschieren.
„Eltern selektieren genau, in welche Schule ihr Kind geht“, sagt Dr. Jan Fallack, Referent für Schule, Sport und Kultur beim Städte- und Gemeindebund NRW. Dadurch werde die Situation an sozialen Brennpunkten noch verschärft. Vor allem, wenn gut integrierte Eltern eine andere Schule für ihre Kinder aussuchen. „Der soziale Aufstieg hat sich noch nicht so manifestiert, dass er sich in einem Umzug bemerkbar macht“, sagt Fallack. Ein Schulbesuch sei aufgrund der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt einfacher zu realisieren.
Für wirklich mehr Durchmischung sorgt das neue System nicht
Abgesehen davon, dass in der Politik derzeit niemand Anstalten mache, an der jetzigen Wahlfreiheit etwas zu ändern, müsse man sich ehrlich die Frage stellen, ob man durch Schuleinzugsbereiche eine Durchmischung erreiche, so Fallack. „Derjenige, der einen Ausweg sucht, findet einen“, sagt er und nennt als Beispiel, dass Kinder früher dort angemeldet wurden, wo die Oma wohnte. Auch habe es schon immer Schulstandorte mit Problemen gegeben, so Fallack. Aus seiner Sicht ist die Schulsozialarbeit ein wirksames Instrument, um betroffene Schulen zu unterstützen. Quantitativ müsse aber noch mehr getan werden.
Das Thema ist nicht neu. In der Schulmail des Ministeriums für Schule und Weiterbildung aus dem Jahr 2005 zum Wegfall der Schulbezirke für Grundschulen heißt es unter Punkt 1: „Die bisherigen Schulbezirksgrenzen haben nicht davor bewahrt, dass sich Grundschulen vor allem in sozialen Brennpunkten auf Grund der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft zu „Problemschulen“ entwickelt haben. Schulen, insbesondere mit hohem Migrationshintergrund, wird die Landesregierung begleitend zum Wegfall der Schulbezirke durch eine andere Verteilung der Lehrerstellen sowie durch weitere ergänzende Maßnahmen besonders fördern.“
Aus dem NRW-Schulministerium heißt es dazu: An den Grundschulen des Landes werden 1000 zusätzliche Lehrerstellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsunterricht und für individuelle Förderung unter Berücksichtigung eines sog. Kreissozialindexes (. . .) verteilt. Die Schulaufsicht entscheide aufgrund der vor Ort vorhandenen Kenntnisse, welche Schulen diese Stellen erhalten.
In Düsseldorf lässt sich
ein Nord-Süd-Gefälle feststellen
„Wir haben aber keine Lehrer, die diese Stellen besetzen“, sagt Sebastian Krebs, stellvertretender Landesvorsitzender der GEW NRW. Das liege auch daran, dass Grundschullehrer bei gleicher Ausbildung schlechter bezahlt werden. Holger Thrien von der Fachgruppe Grundschule der GEW spricht angesichts des Lehrermangels von einem Nord-Süd-Gefälle in Düsseldorf. Bei Ausschreibungen sei es leichter, im Norden der Stadt Lehrkräfte zu gewinnen als in sozial belasteten Stadtteilen wie Garath oder Reisholz.
Wie viele Eltern sich in Düsseldorf tatsächlich für eine andere Schule als die nächstgelegene entscheiden, wird nicht erfasst, teilt das Schulverwaltungsamt auf Anfrage mit. Vergleiche aus der Zeit vor 2007/2008 mit der heutigen Situation seien bezogen auf die Auswirkung des Wegfalls der Schuleinzugsbereiche nicht mehr möglich.
Die Landesregierung wollte mit Abschaffung der Schuleinzugsgebiete einen Wettbewerb zum „Wohl der Schüler und Schülerinnen“ anstoßen. Es scheint so, als seien einige Grundschulen beim Kampf um die Schüler und ihr Potential auf der Strecke geblieben. Eine einfache Lösung, wie mehr Heterogenität in den Schulen erreicht werden kann, gibt es nicht. Denn alle Eltern suchen – aus ihrer Sicht – die besten Bedingungen für ihr Kind.