Spektakuläre Show: Kraftwerk begeistert in der Kunstsammlung NRW
Düsseldorf. Das Lästige an einem Kraftwerk-Konzert: Man hat hinterher nichts anderes im Kopf. Das Fiepen und Dröhnen der Synthesizer ist überall. Es hallt in den Ohren nach. Und es strömt aus dem Autoradio, wenn dort auf dem Nachhauseweg Techno und House gespielt werden und all diese namenlosen Lieder neuer Künstler an ihre Düsseldorfer Urväter erinnern.
Kraftwerk sind eben allumfassend und alles vereinnahmend — auch beim ersten ihrer acht Konzerte in der Kunstsammlung, dem ersten seit 22 Jahren in der Heimat.
Einer der glücklichen 870 Zuschauer mit Eintrittskarte rennt zwar im Pink-Floyd-Shirt durchs Foyer - eine Hommage an den Rock. Aber Rock und alles andere außer Elektropop spielt später keine Rolle mehr. Ab acht Uhr wummern die Bässe zu „Wir sind die Roboter“, der Vorhang fällt — und die vier Mensch-Maschinen löschen die Festplatten in 870 Hörerköpfen im Saal.
Sie löschen Sie natürlich mit den Songs von „Autobahn“ — dem ersten Album aus dem klassischen Bandkatalog, um das es an diesem Abend laut Ankündigung geht. Aber danach folgt noch so viel mehr. Um nicht zu sagen alles: Alles, was je eine Rolle spielte im Kraftwerk-Kosmos. Alles, was diesen Experten aus dem Klanglabor je dazu gereichte, den Pop zu verändern: raus aus der Unterhaltungsecke, rein in die Kunst.
Zu einer flirrenden, dreidimensionalen Filmshow — die dazu führt, dass jeder Besucher mit einer 3-D-Brille auf der Nase gen Bühne blickt — ist auch fast die komplette „Mensch-Maschine“ dabei. Gut: „Metropolis“ fehlt. Dafür aber fliegen einem bei „Vitamin“ die Bläschen von im Wasser aufgelösten Tabletten ins Gesicht. Bei „Radio-Aktivität“ blinken die Namen „Fukushima“ und „Tschernobyl“ als Allegorien für die moderne Apokalypse auf. Zu „Autobahn“ fährt ein alter VW-Käfer in den Horizont hinein. Der „Trans Europa Express“ donnert dagegen durch die Leinwand raus in die Halle.
Das Publikum jubelt angesichts dieser optischen und akustischen Gehirnwäsche. Es johlt. Besonders euphorisierte Fans klatschen — „Boing Boom Tschak“ — laut im Takt. Die Roboter aus Fleisch und Blut, Haut und Knochen laufen wie geschmiert. Und während man noch heimlich Ausschau hält nach irgendeiner menschlichen Regung hinter den illuminierten Steuerungspulten der Kraftwerker — Fingerabdrücke auf der glatten Metalloberfläche, eine knittrige Stelle im futuristischen Anzug - passiert es dann: Sie lächeln. Sie schauen sich die Leute an. Henning Schmitz hüstelt. Fritz Hilpert raunt eine Anweisung. Falk Grieffenhagen wippt mit dem Kopf.
Ganz am Ende, als die Kraftwerker nacheinander von der Bühne gehen und die „Music Non Stop“ weiterpluckern lassen, sagt Hütter sogar „Gute Nacht“. Maschinenmäßig perfekter können Menschen keine Konzerte geben. Lästige Kollateralschäden in Form von im Kopf nachhallenden Tönen müssen da zwingend in Kauf genommen werden.