Stunde Null: Erinnerungen an das Kriegsende

Die 89-jährige Ilse Hoffmann blickt zurück. Als sie mit ihrem Vater in Düsseldorf eintraf, war die Stadt großflächig zerstört.

Zeitzeugin Ilse Hoffmann blättert in alten Fotoalben.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Nur ungefähr ein Jahr, von März 1944 bis zum Sommer 1945, war Ilse Hoffmann nicht in Düsseldorf — doch was in diesen Monaten mit ihrer Heimatstadt passierte, kann die fast 90-Jährige bis heute kaum fassen. Im Frühjahr 1944 wurde sie zum Arbeitsdienst einberufen und musste Düsseldorf verlassen. Als sie im August des folgenden Jahres wiederkam, fand sie kaum den Weg zum Haus ihrer Eltern. „Man erkannte die Straßenzüge kaum wieder, in den ganzen Kriegsjahren vorher wurde nicht so viel zerstört wie im letzten.“

Ein altes Foto von Zeitzeugin Ilse Hoffmann.

Foto: Melanie Zanin

Geboren wurde Ilse Hoffmann 1926, sie wuchs in Düsseldorf auf und machte 1944 ihr Abitur. Direkt nach dem Schulabschluss begann für sie eine Reise durch ganz Deutschland. Zum Arbeitsdienst wurde sie nach Pommern gebracht; als die russische Armee vorrückte, brachte man sie ins Oldenburger Land. Dort erfuhr sie, dass die Frontlinie nun mitten durch Düsseldorf verlief. Während die Amerikaner das linke Rheinufer befreit hatten, war der Rest der Stadt noch in der Hand der Nationalsozialisten. „Meine Mutter und Schwester waren noch dort, aber für mich gab es keine Möglichkeit, zurückzukehren.“

Stattdessen schlug sie sich zu ihrem Vater durch, der als Ingenieur im sächsischen Wurzen arbeitete. Doch auch dort fand sie sich schließlich zwischen den Fronten wieder: „Der durch die Stadt verlaufende Fluss Mulde bildete die Grenze zwischen amerikanischen und russischen Soldaten.“ Nachrichten aus der Heimat drangen während dieser Zeit kaum zu ihr durch. „Wir wussten nicht, dass der Krieg in Düsseldorf bereits früher beendet war als anderswo.“

Erst im August 1945 beschloss der Vater, sich auf den Rückweg nach Düsseldorf zu machen, mehr als 500 Kilometer wollten sie zunächst zu Fuß bewältigen. „Zum Glück konnten wir große Teile der Strecke auf Güterzügen mitfahren, so dass wir es schneller als gedacht nach Hause schafften.“

Doch was sie in Düsseldorf vorfanden, hatte wenig mit der Stadt zu tun, die sie verlassen hatten. „Das Haus meiner Eltern an der Schwerinstraße war von einer Luftmine schwer beschädigt, es war pures Glück, dass meine Mutter und Schwester überlebten.“ Dass der Krieg seit dem 8. Mai offiziell beendet war, hatte für sie keine große Bedeutung. „Es war weiter großes Chaos, nur zum Glück ohne die Luftangriffe.“

Ihr sei jedoch vor allem der Hunger im Gedächtnis geblieben. „Dadurch, dass das Essen stark rationiert war, ging es uns fast schlechter als während des Krieges.“ Die Britische Militärregierung sei zwar als die fairste der Siegermächte bekannt gewesen, trotzdem habe es kaum genügend Lebensmittel gegeben. „Irgendwann haben wir bei uns den betonierten Hof aufgehackt, um ein paar Sachen anzubauen, vorher sind wir immer auf den Friedhof, um Brennnesseln und Löwenzahn zu bekommen.“

Gemeinsam mit ihrer Schwester musste sie zudem regelmäßig den Rhein überqueren, um auf der anderen Seite Lebensmittel zu besorgen. „Es gab regelrechte Wanderungen ins Linksrheinische, dort waren ein paar Bauernhöfe, auf denen man etwas Gemüse oder Fleisch bekommen konnte.“

Dies wurde allerdings jedes Mal zum Abenteuer. „Alle Brücken waren zerstört, nur auf Höhe der Rheintreppen hatten die Briten eine wackelige, provisorische Brücke errichtet“, erzählt Hoffmann. Die Familie wohnte weiter in der alten Wohnung. „Die Fenster waren kaputt, und die Decke kam an manchen Stellen runter, alles wurde nur notdürftig mit Brettern repariert, wir saßen im Dunkeln, hatten aber wenigstens ein Dach über dem Kopf.“

Wann es wieder bergauf ging, weiß Ilse Hoffmann nicht mehr genau. Nur, dass die Reiterstatue vor dem Rathaus schon am 2. Dezember 1945 wieder stand, weiß sie ganz genau. An diesem Tag lernte sie nämlich ihren späteren Ehemann kennen. „Sonst wäre mir das ziemlich egal gewesen mit diesem Pferd“, lacht sie.