Unterwegs von der „Zicke“ bis zur Röhre

Eine Folge aus dem Blog „Düssel-Flaneur“: Sie führt Flüsschen und Verfolger durch die Carlstadt und zu der Frage, warum Rheindorf älter als Düsseldorf ist.

Foto: Sebastian Brück

„Eigentlich ist es absurd“, sage ich zu meinem besten Freund P., während wir die Treppe zur oberen Rheinuferpromenade emporsteigen, „unsere Stadt ist die einzige unter den mehr oder weniger großen in Deutschland, die ‘Dorf´ im Namen trägt.“

„Stimmt“, sagt P. ,„dabei wäre als Partner fürs Leben immerhin Deutschlands größter Strom zu haben gewesen. Stattdessen haben sie einem schmalen Flüsschen zu Ruhm verholfen. Düssel … Dorf!“ Er betont die beiden Worte getrennt — mit einer Sekunde Abstand — und sofort klingt der sonst so natürlich fließende Name fremd. „Ob die Gründer sich aus Bescheidenheit dafür entschieden haben, ein Dorf zu sein?“, fragt er.

„Klar, Bescheidenheit ist ja typisch für Düsseldorf“, sage ich und knipse ein Auge zu. „Aber mal im Ernst: Warum sollte man sich damals als Stadt bezeichnen, wenn man wirklich nur ein Dorf war. Das wäre ja größenwahnsinnig gewesen.“

„Gibt es überhaupt eine deutsche Großstadt, bei der ‘Stadt´ Teil ihres Namens ist?“

Er überlegt. „Karl-Marx-Stadt!“

„Zählt nicht! Hieß und heißt eigentlich Chemnitz!

„Klugscheißer!“

Wir setzen uns auf eine Bank, und während wir die auf dem Rhein vorbeituckernden Frachter beobachten, kommt mir eine Idee. „Warte mal eben!“ Ich tippe nacheinander drei Wortkombinationen in die Google-Suchmaske meines Smartphones. Das Ergebnis: Rheinstadt ist ein in den 1960er Jahren geplanter Stadtteil Karlruhes, der nie gebaut wurde. Düsselstadt gibt es nicht. Rheindorf ist ein Stadtteil von Leverkusen.

„Ach ja stimmt, Rheindorf!“, sagt P., „A59! Da ist doch immer Stau. Ich war da früher öfter, eine Affäre, Barbara, in Köln Ende der 90er auf der Friesenstraße kennen gelernt, im Arkadia! Schon mehr als 15 Jahre her! Krass!“

„Hauptsache, bei dir und Barbara war der Verkehr fließend, du alternder Poser!“, nehme ich die bewusste Steilvorlage auf.

„Was ich gerade gesagt habe, schreibst Du aber später nicht mir rein ins Blog, oder?”, fragt er.

„Nein, natürlich nicht”, sage ich.

Ich wende mich wieder meinen Smartphone zu: Jetzt noch schnell die Wikipedia-Einträge der beiden „Dörfer“ vergleichen: Rheindorf ist erstmals 1115 urkundlich erwähnt worden, Düsseldorf erst einige Jahre später, um 1135. Aha: Der vermeintlich repräsentativere Stadtname war also schon vergeben, die „Konkurrenz“ war zwanzig Jahre schneller! P. zieht kurz seine Basecap vor mir und klopft mir auf die Schulter „Hut ab Sherlock! Vielleicht spielt Leverkusen ja deswegen permanent in der ersten Liga, im Gegensatz zu unserem Fahrstuhlverein.“

Damit kein falsches Bild entsteht, sollte ich an dieser Stelle vielleicht mal erwähnen, dass mein bester Freund P. amtierender Stadtmeister in Sachen Ironie, Sarkasmus und Zynismus ist, zumindest im Düsseldorfer Süden. Im Übrigen ist er in Neuss geboren, und noch wichtiger als Fortuna Düsseldorf ist ihm Borussia Mönchengladbach. Nur damit Ihr Bescheid wisst!

P. steht auf. Wir haben nun noch eine halbe Stunde, da müssen wir beide zur Arbeit. „Rheindorf, Düsseldorf — willst du im Ernst über solche Details bloggen? Alter, das interessiert doch kein Schwein! Komm, ich glaube die Düsselröhre verläuft unterhalb der Bäckerstraße!“

Wir bleiben kurz bei einem Touristen-Hinweisschild auf Deutsch und auf Englisch hängen, das auf die tiefergelegte Düssel-Mündung hinweist. „Mach bitte mal ein Foto davon!“, sage ich. „Vielleicht können wir später einige der Infos im Blog zitieren.”

Wir spazieren über Kopfsteinpflaster, weg vom Rhein, vorbei an einen Friseurladen, vorbei an der „Zicke“ — einem Bistro gegenüber dem Stadtmuseum, in dem wir noch nie versackt sind, dafür um so öfter gefrühstückt haben.

„Meine Frau boykottiert den Laden inzwischen“, erzählt P. „Sie war letztens mit ein paar Frauen aus der Pekip-Gruppe da, mit Kinderwagen und so, und das Personal war total unfreundlich.“

„Nichts gegen deine Frau! Aber kannst du dir als Kellner was Schlimmeres vorstellen als eine Horde Bugaboo-Frauen, die dir den halben Laden blockieren und diskutieren, wie oft ihre Kinder in die Windel scheißen und welche Farben dabei am häufigsten vorkommen?“

P. ist in Gedanken schon weiter. „Da vorne müssen wir hin, genau unter der Orangeriestraße verläuft die Düssel.“ Vorbei am Hotel. Um die Ecke über den schönen Platz, dessen Namen ich mir einfach nicht merken kann, dann an den Außenmauern des Rosengartens entlang, schließlich rechts in die Poststraße — und wir sind da!

An diesem letzten Abschnitt des Spee´schen Grabens gerät das Düsselwasser, das ansonsten unmerklich durch diesen gar nicht so kleinen Teich geflossen ist, ganz gemächlich in Bewegung, bevor es in einer Art Mini-Wasserfall in einer dunklen Röhre verschwindet.

„Fällt dir was auf?“, fragt P., der neben mir steht und auf das von einer hohen Mauer begrenzte Wasser blickt.

„Hier liegen überall durch den Sturm herabgefallene Äste rum”, sage ich. “Und da unten stolziert vor dem Düssel-Abgrund ein Teichhuhn.“

„Carlstadt.“

„CarlSTADT in DüsselDORF! Auch absurd, oder?“

Ich nicke. „Nächste Woche wieder?“, frage ich.

„Auf jeden Fall!“, sagt er. „Wir telefonieren!“