Von Kokotten und Dirnen — die Geschichte des Milieus
Düsseldorf und die Erotik: Mätressen in den 20ern, Straßenstrich nach dem Krieg, Nackttanz in den 50ern.
Düsseldorf. Kennen Sie Prostituierten-Bingo? Bei Jugendlichen ist es — unter noch flapsigerem Namen allerdings — ein beliebter Zeitvertreib bei der S-Bahn-Fahrt: Jeder nennt eine Zahl, wenn bei der Fahrt vorbei am Bordell „Hinter dem Bahndamm“ eine Frau im Fenster mit der jeweiligen Nummer sitzt, gibt es einen Punkt.
Auf kuriose Weise zeigt das kleine Spielchen das Verhältnis der Düsseldorfer zu dem Laufhaus mit seinem schnellen Sex — ein Verhältnis, das seit den 50ern gewachsen ist. Das Milieu an sich, welches jetzt durch den Rotlicht-Skandal um Berti Wollersheim und 80 weitere Verdächtige in die Schlagzeilen geraten ist, hat in der Stadt indes eine noch sehr viel längere Geschichte.
„Man kann nicht sagen, wann genau die erste Prostituierte in Düsseldorf aufgetaucht ist“, sagt Thomas Bernhardt von der Geschichtswerkstatt. Doch er schätzt, dass sich schon Soldaten während des 30-jährigen Krieges in Düsseldorf mit leichten Damen die Zeit vertrieben. So richtig wuchs die Branche aber erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und verstärkt mit der Eisenbahn.
„Es geht dabei immer um Armut“, erklärt Bernhardt: Frauen vom Land kamen mit der Eisenbahn in die Städte, auf der Suche nach Arbeit. An den Bahnhöfen traf sich alles — vom Geschäftsmann bis zum Gauner, vom Zuhälter bis zur Prostituierten in spe. Dass Nachtclubs, Tabledance-Bars und Bordelle sich noch heute rund um den Hauptbahnhof konzentrieren, ist historisch gewachsen.
Um 1900 und gerade in den Goldenen Zwanzigern blühte Düsseldorf dann auf. Die Varietés boomten — nicht nur das alte Apollo Varieté an der Kö. Und mit ihnen die „Kokotten“: Schicke Damen, die sich von den Oberen der Gesellschaft äußerlich kaum unterschieden, aber doch käuflich waren.
„Sie haben sich Männer gesucht, die sie aushielten“, sagt Thomas Bernhardt. Auch Tänzerinnen der Varietés wurden schon mal in Separees gebeten, um besonderen Gästen ein kleines Extra zu bieten. „Es wurde akzeptiert“, erklärt Bernhardt. Wenn auch hinter vorgehaltener Hand.
Das Schwanken zwischen Humor und Entrüstung zog sich durch die Jahrzehnte. In den 30er Jahren hieß die Ecke Kö/Graf-Adolf-Straße wegen eines Kunststoffgeschäftes, das auch Präservative verkaufte, bei den Düsseldorfern scherzhaft „Gummi-Ecke“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erboste man sich dann fürchterlich über den Straßenstrich in direkter Nachbarschaft des Görres-Gymnasiums gleich gegenüber und warnte Schüler davor, sich mit den Straßendirnen abzugeben.
In den 50ern wurde mit schicken Nackttanzshows die Erotik zur akzeptierten Unterhaltung für die breite, wenn auch gut situierte Masse. Vor dem Tabaris an der Kö waren tagsüber die Vitrinen verhüllt, erst nach acht Uhr abends durften die wenig verhüllten Frauen gezeigt werden.
Dabei trugen diese immerhin Maßschnitte von Modezar Hanns Friedrichs, sagt Bernhardt. Auch im Tanzpalast Palladium, wo die Kessler-Zwillinge entdeckt wurden, gab es Nackttanz wie in Paris. Das große, unverbrämte Geschäft mit der Lust wurde gleichzeitig im neuen Bordell „Hinter dem Bahndamm“ gemacht — laut einem Spiegelbericht von 1965 wurde dort zu jener Zeit in nur einem Jahr Sex für 30 Millionen Mark verkauft.
Wie das Bordell am Bahndamm gehört auch der Straßenstrich an der Charlottenstraße — obwohl illegal im Sperrbezirk — fest zu Düsseldorf. Die edlen Wollersheim-Clubs hingegen seien „eine ganz exklusive, moderne Geschichte“, sagt Thomas Bernhardt. Doch trotz der Schließung dieser Betriebe wegen der Betrugsaffäre hat die Geschichte wohl gezeigt: Das Rotlicht-Milieu an sich findet in einer Großstadt wie Düsseldorf immer eine Nische, um im Schatten der feinen Gesellschaft zu florieren.