Postcrossing Warum sich Wildfremde jetzt Postkarten schicken

Beim Postcrossing bekommt man von Unbekannten aus der ganzen Welt Postkarten und verschickt sie an Unbekannte. Unsere Autorin hat es ausprobiert.

Unterschiedlichste Handschriften zieren die Postkarten, die Carina Grode aus aller Welt zugesandt wurden. Fotos: Carina Grode

Foto: ja/Carina Grode

Wer sich auf der Website postcrossing.com anmeldet, schickt sich Postkarten mit Menschen in nahen und fernen Ländern. An wen genau die nächste Karte geht und von wem man eine in seinem Briefkasten findet, wird ausgelost. Wie geil ist das denn! Das musste ich sofort ausprobieren.

Als ich über die Postcrossing-Seite in der Zeitung lese, bin ich sofort Feuer und Flamme. Ich mag analoge Sachen zum In-die-Hand-Nehmen und die mit handschriftlichem Text und Bildern drauf sowieso. Aber wie funktioniert das genau, will ich wissen, und melde mich auf der Seite an.

Erstmal umschauen: Das Ganze ist auf Englisch, weil international. Die Idee stammt aus Portugal, Paulo Magalhães startete das Projekt 2005 als Student. Mittlerweile gibt es fast 740.000 Mitglieder. Und ich bin jetzt eine davon. Ich wähle einen Benutzernamen, füge meinen Vornamen hinzu und lade ein Bild von mir hoch. Außerdem gebe ich an, dass man mir auf Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch schreiben kann. Und meine Adresse, die allerdings nicht auf meinem Profil erscheint, sondern nur für denjenigen sichtbar ist, der mir eine Postkarte schreiben wird.

Es gibt so viele Gründe, dieses Projekt zu mögen

Etwas schwieriger finde ich den kurzen Text, den ich über mich schreiben soll. Der ist schon relativ wichtig, schließlich kann dieser beeinflussen, was für Postkarten ich erhalte. Ich suche Inspiration bei anderen Profilen. Und stelle schnell fest, dass man eigentlich alles schreiben kann. Manche sagen, sie würden sich über alle Postkarten freuen, und wünschen Happy Postcrossing. Andere zählen Hobbys und Kinder auf. Wieder andere schildern in langen Listen, was genau für Postkarten sie erhalten möchten. Katzen, Blumen, Pin-up-Erotik. Keine Werbekarten, keine selbstgebastelten Karten. Ohne Umschlag oder mit Umschlag, dann aber mit den und den Briefmarken drin.

Die Postkarten kommen von weit her: aus Taiwan oder Louisiana, beispielsweise.

Foto: ja/Carina Grode

Schnell wird klar, dass es viele Gründe gibt, dieses Projekt zu mögen. Manche schreiben gerne und lieben es, jemand anderem eine Freude zu bereiten. Andere sammeln die Briefmarken oder machen einen Leistungssport draus, wie der Ostfriese Willi, der mit rund 25.000 Stück in 11 Jahren weltweit die meisten Postkarten verschickt und bekommen hat.

Ich brauche keine Katzenpostkarten, sondern will mich überraschen lassen. Also schreibe ich nur, dass ich in Düsseldorf lebe, Sprachen, Kunst und das Schreiben mag und vor allem an Menschen und ihren Alltagsgeschichten interessiert bin. Was sie zum Frühstück hatten, zum Beispiel, oder wie ihre Woche war.

Bevor mir allerdings jemand eine solche Postkarte schreiben kann, muss ich den ersten Schritt machen. Denn erst wenn meine allererste Karte irgendwo auf der Welt angekommen ist, bin ich offiziell dabei und kann mich auch selbst auf eine freuen. Also drücke ich – ein bisschen aufgeregt – auf „Send a Postcard“. Und da ist sie, meine Adresse: Gillie, ein 24-jähriger Student aus Springfield, USA. Da er Fremdsprachen genauso gerne mag wie ich, wähle ich eine Karte mit der Wurstbude vom Höherweg, die der Düsseldorfer Fotograf Markus Luigs abgelichtet hat und über der ganz groß „Bock auf Wurst“ steht. Ich erkläre ihm das Wortspiel mit „Bockwurst“ auf Englisch und schreibe, dass die Deutschen nicht die ganze Zeit Wurst essen, sie aber schon sehr mögen.

Dann füge ich Gillies Adresse hinzu und eine Briefmarke mit Snoopy und den Peanuts. Ich war extra noch bei der Post, um auch mit ein paar außergewöhnlichen Briefmarken aufwarten zu können. Außerdem schreibe ich eine Identitätsnummer mit auf die Karte, die das Kürzel „DE“ für Deutschland enthält. Sobald meine Postkarte bei Gillie angekommen ist, kann er sie auf postcrossing.com anhand der Nummer registrieren. So weiß ich, wie lange sie über den Teich gebraucht hat.

Das hat Spaß gemacht. So viel, dass ich gleich noch eine Adresse generieren lasse. Irena aus Kaluga, Russland. Sie mag Fotografie, also wähle ich eine Postkarte mit einem Foto des berühmten Fotografen Irving Penn, die ich noch von einer Ausstellung in Berlin habe. Ich liebe es jetzt schon, mich mit den Menschen zu befassen, die mir zugelost werden. Aus Neugier gebe ich Gillies und Irenas Adressen bei Google Street View ein. Und ganz schön Klischee: Gillie wohnt in einer typisch amerikanischen Vorstadt-Siedlung mit zweistöckigen Häusern, doppelter Garagenauffahrt, perfektem Rasen und diesen länglichen Briefkästen am Straßenrand, die man aus Filmen kennt. Irena dagegen in einem hohen grauen Mehrfamilienhaus mit Graffiti untendran.

52.000 Mitglieder in Deutschland

Dass ich genau diese beiden Länder gezogen habe, ist kein Zufall: Die meisten Mitglieder wohnen in Russland, den USA, Taiwan und China. Aber gleich danach kommt witzigerweise das kleine Deutschland, das mit 52.000 Mitgliedern immerhin mehr als halb so viele hat wie Russland. Interessant wird es natürlich bei den seltenen Ländern: der Vatikan (drei Mitglieder), die Weihnachtsinsel (zwei Mitglieder) und sogar Nordkorea (ein Mitglied)!

Drei Abende später setze ich mich nochmal hin und schreibe Postkarten. An Orvokki aus Finnland, Emily aus Hong Kong und Petra aus Tschechien. Damit habe ich das Kontingent von fünf Karten voll, das ich als neues Mitglied versenden darf. Jetzt muss ich erstmal warten, bis eine davon ankommt. Umso mehr Karten man erfolgreich versendet hat, desto mehr darf man gleichzeitig verschicken. Der Ostfriese Willi kann schon ganze 100 Stück gleichzeitig versenden.

Während die Post mit meinen Karten in die Welt zieht, stöbere ich noch ein bisschen auf der Website. Jedes Mal, wenn man sie öffnet, begrüßt sie einen auf einer anderen Sprache: „Merhaba, Carina!“ (Türkisch), „Sveiki, Carina!“ (Lettisch), „Moien, Carina!“ (Luxemburgisch). Ich bin wirklich gespannt, woher meine erste Postkarte kommen wird. Dass sie aus Deutschland kommt, konnte ich übrigens bei den Voreinstellungen ausschließen.

Dann hat es endlich die erste meiner Karten geschafft: Nach nur zwei Tagen Reisezeit ist sie in Finnland angekommen. Orvokki hat sie mithilfe der Nummer registriert und sich per Direktnachricht bei mir bedankt. Ab jetzt laufe ich jeden Tag vor dem Briefkasten auf und ab. Die Zeit, die eine Postkarte braucht, ist wirklich sehr unterschiedlich. Der Einfachheit halber läuft die Uhr, sobald eine Adresse generiert ist. Wobei man aber ja nicht immer sofort die Karte losschickt. Und die Post auch nicht überall mit offenen Händen vor der Tür bereitsteht: Auf der Weihnachtsinsel startet nur ein Flug pro Woche. Und ein Mitglied in der Antarktis schreibt, dass die Post erst wieder ausgeflogen wird, wenn der Winter vorbei ist. Da kann eine Karte schonmal 281 Tage (!) nach Deutschland brauchen.

So lange muss ich zum Glück nicht warten: Knapp zwei Wochen, nachdem meine Postkarte Finnland erreicht hat, steckt meine erste Überraschung im Postkasten: Eine wunderschöne Karte aus Singapur, mit einer Blumenvase in dezenten Beigetönen vorne drauf. Sie kommt von Yo Yo, 5 Jahre, der Lego und Malen mag, und seiner 2 Jahre alten Schwester Tang Tang, die gerne tanzt und singt. Wie wunderbar! Während ich mir die Nationalhymne des Landes auf Wikipedia anhöre, betrachte ich die Briefmarke mit dem singapurischen Milchmann drauf.

Danach trudeln fast täglich die nächsten Karten ein. Auch meine kommen alle gut an – bis auf die nach Russland, die muss irgendwo hängengeblieben sein. Nach 60 Tagen wird die Karte bei Postcrossing automatisch auf „Expired“, also „Abgelaufen“ gesetzt, so dass ich stattdessen neue versenden kann. Aber insgeheim hoffe ich natürlich, dass sie es doch noch schafft.

Währenddessen freue ich mich jedes Mal, wenn ich selbst eine Postkarte erhalte. Anfangs hatte ich Zweifel – ich bin Minimalistin, habe nicht gerne so viel Kram in der Wohnung. Was soll ich denn nach dem Lesen mit den Postkarten machen? Und vielleicht kämen ja auch nur so hässlich-langweilige Ansichtskarten? Doch diese Zweifel haben sich ganz schnell in Luft aufgelöst.

Denn so, wie jeder Mensch einzigartig ist und andere interessante Facetten hat, sind die Dinge unterschiedlich, die mich an diesen Postkarten faszinieren: Alena aus Russland hat mir eine lustige Partygeschichte erzählt, Abdul aus Indonesien ein motivierendes Zitat geschrieben. Durch Lauras Karte aus den USA weiß ich jetzt, dass Louisiana neben Texas liegt und die Hauptstadt Baton Rouge heißt. Und Cara aus Taiwan hat die kleinste und schönste Handschrift, die ich je gesehen habe.

Nun hüte ich die Karten wie ein Schatz. Jede neue bekommt einen Ehrenplatz auf dem Küchentisch, so dass ich sie mir immer wieder ansehen kann. Und auch als Verfasserin bin ich schon ein bisschen süchtig geworden: An freien Abenden mache ich es mir jetzt gerne gemütlich, verfasse ein paar Postkarten und schicke dann ein kleines Stückchen Düsseldorf hinaus in die Welt.