Stadt-Teilchen Unser Kolumnist entdeckt verschiedene Formen von Kunst an der Merowingerstraße Wimmelbild zeigt das ganze Gemeinwesen
Düsseldorf · Unser Kolumnist entdeckt am Ende der kleinen Umweltspur verschiedene Formen von Kunst.
Wenn man es mal ganz ehrlich sieht, dann markiert die Umweltspur auf der Merowingerstraße doch letztlich den finalen Weg ins Aussterben der automobilen Gesellschaft. Es kann halt nicht mehr lange gut gehen, mit dieser individualisierten Tour, bei der in jedem Wagen nur ein Mensch sitzt und in der Nase bohrt, während es im Stop-and-go-Rhythmus voran oder eben nicht voran geht. Eigentlich müssten all die Autos jeden Morgen einen imaginären Imperator des Urbanen mit den aus dem Römischen Reich bekannten Worten grüßen: Ave Caesar, Morituri te salutant. Die Todgeweihten grüßen dich, oh Herrscher.
Auf lange Sicht braucht es also so etwas wie einen automobilen Elefantenfriedhof, einen Ort, wo all die Individualvehikel hinkönnen, wenn sie des Lebens endgültig müde sind, wenn ihr Auspuff den letzten Schadstoffseufzer abgesondert hat, wenn sie eingesehen haben, dass es mit Bahn und Fahrrad schneller voran geht.
Da passt es, dass ungefähr am Ende der Umweltspur auf der Merowinger Straße ein kleines Modell dieses zukünftigen Elefantenfriedhofs zu besichtigen ist. Dort findet sich ein Ort, den man sehr leicht übersieht. Fährt man auf der Umweltspur, dann liegt der Ort quasi im toten Winkel und rauscht vorbei, während man sich auf die nächste Ampel konzentriert.
Kommt man hingegen aus der Innenstadt, wird das Auge gefesselt von der über dem automobilen Elefantenfriedhof befindlichen Wandskulptur der Gruppe Farbfieber. Die ist bekanntermaßen eine tolle Installation, ein dreidimensionales Wandwimmelbild, ein Abbild des städtischen Gemeinwesens mit all seinen seltsamen Verästelungen.
Kinder mit Lollis und Greise auf dem Weg zum Glascontainer sind da ebenso an die Wand gemalt wie eine Schwangere, ein Handyglotzer und ein Dieb mit Sack auf dem Rücken. An einer Hütte steht „Zimmer frei“, so als könnte man gleich hier einziehen, was darauf hinweist, dass das Großgemälde schon vor dem ganz großen Immobilienboom enstand. Im Gesamtwesen wirken die an der Wand übereinandergestapelten Hütten wie eine Art Mini-Favela, zumindest aber wie eine ziemlich wilde Mischung aus Typen, Gestalten und sonstigen Sonderlingen.
Unterstrichen wird das Wimmelige von den Büschen, die den davor liegenden Biergarten vom Bürgersteig abtrennen. Man glaubt ja nicht, dass sich hier jemals jemand hinsetzt, um ein Bier zu trinken und die Abgase von nebenan einzuatmen, aber der heiße Sommer hat belegt, dass das geht, denn da war der Biergarten oft vollbesetzt. Man ist eben nicht so empfindlich als Städter, man hat gelernt auszublenden, was stört.
Ausgeblendet wird auch, was am Rande liegt, und da kommt dieser kleine Elefantenfriedhof ins Spiel. Er liegt direkt unter dem Wandbild, gleich hinter dem Biergarten, nur von einer Mauer getrennt. Es ist im Prinzip ein schmaler Gang, der zu den Rückseiten der Häuser von der Brunnenstraße führt und der ganz früher mal von einer Pommesbude abgeschlossen wurde. Aber das ist sehr lange her.
Nun verwehrt ein weißes Gitter den Zugang. Es zeigt deutliche Spuren von Rost. Es ist dreiteilig und ganz links mit einem winzigen Vorhängeschloss gesichert. Dahinter stehen wie in einem Zoo-Gehege vier große Blumentöpfe, die so aussehen, als hätten sie mal im Biergarten im Weg gestanden. Der Boden ist bedeckt mit Laub, von den Seiten her wuchert Grün, und es liegen ein paar Ziegelsteine herum. Im vorderen Teil ist die türkis gestrichene Wand mit Graffiti beschmiert.
Doch die Attraktion liegt dahinter. Da steht offenbar schon längere Zeit ein Auto. Abgemeldet, nicht in bestem Zustand. Offensichtlich ausgemustert. Ein Freund hat das Modell als Mercedes CLS identifiziert. Auf der schlammbraunen Motorhaube spiegeln sich die unteren Teile des darüber liegenden Wimmelbildes, und die Scheibe auf der Beifahrerseite steht leicht offen. Klebereste auf der Windschutzscheibe deuten an, dass dieses einst als schick geltende Automobil schon mal länger irgendwo herumstand und dann per Aufkleber von der Stadt ermahnt wurde, sich einen Platz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes zu suchen.
Den Platz hat der Mercedes hier offenbar gefunden. Er sieht halt nicht mehr so aus, als könne man ihn nochmal zum Leben erwecken. In seiner ganzen staubigen Statur ist die Aussage „Lasst mich hier liegen, es ist genug“ eingebrannt. Dieses Mobil will sich nicht mehr bewegen, schon gar nicht will es auf die Umweltspur. Es stammt aus einer anderen Zeit, aus einer Zeit, da Umweltschutz noch keinen Religionsstatus inne hatte und der Name des einzigen Gottes mit PS abgekürzt wurde.
Nun ist die Frage, wie es solch einen Ort geben kann in einer auf ständige Verdichtung bedachten Großsiedlung, nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite wird beleuchtet von der Frage, wie man solch einen Ort so lange schon übersehen konnte. Warum ist man nicht schon viel früher auf diesen Ort gestoßen, wo er doch an einem Weg liegt, den man tausendfach gegangen ist? Rätsel über Rätsel.
Aber dann keimt der Gedanke, dass es sich bei dieser Zusammenstellung auch um eine Kunstinstallation handeln könnte. Nur mal angenommen, man stieße auf just dieses Gebilde auf der Biennale in Venedig, was würde man sich da alles zusammenreimen? Man würde es natürlich interpretieren als Menetekel der automobilen Gesellschaft. Der enge Raum, die abgeblätterte Farbe, die Trostlosigkeit, die abgebröckelten Backsteine, die mit totem Grün bestückten Töpfe, all das gemahnt, an die Endlichkeit alles Beweglichen zu denken.
Keine Frage: Das ist kein Schrottplatz, das ist ein Kunstwerk. Nicht das Offensichtliche diktiert hier die Sicht, sondern das auf den ersten Blick Verborgene. Das, was man sieht, wenn man die Dinge in einen Zusammenhang rückt mit dem Farbfieber-Wimmelbild da drüber und mit der Umweltspur davor. Alles hängt ja bekanntlich mit allem zusammen.
Ich schätze, bei der nächsten Nacht der Museen wird auch dieser kulturelle Hot Spot Anlaufpunkt für Kunstinteressierte werden, für alle, die sehen wollen, wo es hingeht, wenn es nicht mehr weitergeht. Hinterher loben dann alle die Kunststadt Düsseldorf, wo sich aus dem alltäglichen Vergehen immer wieder eine Mahnung an die Zukunft ergibt. Schön, hier zu leben.