Woche 12: So läuft es im Home-Office mit Kindern in Corona-Zeiten Perlen des Familienlebens

Düsseldorf · Kolumne Woche 12: So läuft es im Home-Office mit Kindern in Zeiten von Corona

In der letzten kindergartenfreien Woche ging es für die Vorschülerin ins Krankenhaus: Sie hatte sich eine Bastelperle in die Nase gesteckt.

Foto: Ines Arnold

Es müsste sich alles ziemlich vertraut anfühlen. Der schmale Weg, der aus der Siedlung herausführt, ist derselbe, den wir vor knapp drei Monaten jeden Morgen gefahren sind. Nun aber wuchern die Büsche über die ausgebeulten Maschendrahtzäune und kratzen bedenklich über das Autodach. Im Auto saßen wir in den vergangenen Wochen nicht sehr oft. Ein, zwei Mal vielleicht. Jetzt, auf dem Weg zum Kindergarten, ist sogar die Sitzordnung darin neu: Der Jüngste lässt sich nicht mehr in seinen Babysitz abschieben und besteht auf den Platz hinter mir. Seine Schwester darf deshalb vorne sitzen. Sie drückt nun auf den Tasten des Radios herum. „Können wir die Stones hören?“, fragt sie in die Stille hinein. Und ich bin erleichtert, dass meine Sorge, der Vater könnte wegen fehlender Präsenz seinen guten Einfluss zu Hause verloren haben, wohl doch unbegründet ist.

Die letzten Tage vor der Rückkehr der beiden Vorschülerinnen in den Kindergarten schien es fast so, als würden alle drei Kinder noch einmal alles geben. Als wollten sie uns zeigen, wie glücklich Eltern sich doch schätzen können, wenn es bei den üblichen, lautstarken Bekundungen von Langeweile, den handfesten Zankereien und kleineren Missgeschicken bleibt. Und wie dankbar wir für die Aussicht sein können, dass wir mit dem Kindergarten bald wieder einen Ort haben, an dem sich die Kinder austoben können. Und an dem wir die manchmal so erdrückende Verantwortung eine Zeit lang an andere abgeben dürfen.

Das Herausschneiden des Kaubonbons aus den Haaren meines Sohnes oder auch das mehrmalige Streichen des Flures, weil meine Kinder nicht eine Stunde ihre Finger davon lassen konnten, schaffen es dieses Mal nicht in den Wochenrückblick. Die Konkurrenz ist einfach zu stark. Mein persönlicher Höhepunkt war der Mittwoch, an dem sich meine Tochter überlegt hatte, das Nasenloch sei wohl eine sehr zeit- und kraftsparende Transportalternative, wenn die Hände bereits voll sind. Die Kinder sollten ihre Zimmer aufräumen und die überall verstreuten Bügel- und Holzperlen aufsammeln. Tatsächlich dachte ich im Wartezimmer der Notambulanz, in die uns die Kinderärztin geschickt hatte, kurz darüber nach, ob ich an der Misere eine Mitschuld trug.

Da saßen wir also, meine Tochter und ich, zwischen all den abgesperrten Sitzplätzen. Zu Hause würde vermutlich die sechste Folge „Paw Patrol“ laufen, weil mein Mann in einer wichtigen Videokonferenz saß, für die er sich sogar ein neues Oberteil angezogen hatte. Ich spürte förmlich, wie er gerade schwitzte und hoffte, dass diese nervige Hunde-Polizei es auch in Folge zehn bis 14 schaffen würde, die beiden Kinder auf der Couch zu hypnotisieren. Während der Hals-Nasen-Ohren-Arzt das Nasenloch meiner überraschend tapferen Tochter durchleuchtete, dachte ich an ein Video, das ich vor Jahren gefeiert hatte: Darin bekommt ein Politikprofessor während einer BBC-Live-Schalte Besuch in seinem Home-Office. Von seinen zwei Kindern, die selbstbewusst ins Arbeitszimmer marschieren – und von der auf allen Vieren hereinschlitternden Mutter möglichst unauffällig aus dem Sichtfeld der Webcam gezogen werden. 2017 ging das Video viral. Ich hatte damals ja keinen Schimmer, wie nah ich mich dieser Familie einmal fühlen werde.

Eine Kolumne von Ines Arnold.

Foto: Melanie Zanin/M.ZANIN

Der „Junge“, wie meine Tochter den Assistenzarzt den Rest des Tages nannte, fand keine Perle. Weiß sei sie gewesen, davon war meine Tochter nach wie vor überzeugt. Denn von den weißen gab es nur ganz wenige in ihrer Kiste. Die weitere Argumentation, warum man gerade sie dann in ein Nasenloch stopft, erschloss sich mir nicht. Weder der Junge noch ich fragten aber weiter nach. Vielleicht war die Perle heruntergeschluckt worden oder unbemerkt aus der Nase herausgepurzelt, mutmaßte der Junge.

Als wir zurück nach Hause kamen, spielten die anderen beiden Kinder gerade Schule. Mit dem Schulranzen, den wir am Dienstag gekauft hatten. Ein weiterer Höhepunkt, der mir noch in den Knochen steckte. Denn wenn ein Einkauf mit drei Kindern schon unter normalen Umständen anstrengen kann, artet er mit Vorgaben wie Mundschutz, Mindestabstand oder Kinderwagenpflicht zu einem „Einkauf des Grauens“ aus. Nichts gegen die hinreißende Verkäuferin, die sich bedingungslos darum bemühte, den Mädchen jedes Modell vorzuführen und selbst inmitten von Papierbergen stehend nicht ihr Lächeln verlor. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass der Zweieinhalbjährige mitkommen musste, aber weder im Buggy noch auf meinem Arm bleiben wollte. Und auch nicht wirklich verstand, dass es bis zu seiner Einschulung samt Ranzenkauf noch eine Weile dauern wird (er sitzt in einem Kinderwagen - noch offensichtlicher geht es doch eigentlich nicht).

Während ich also mit dem quengelnden, zappelnden Kleinkind und einer hinter dem Mundschutz schwitzenden Oberlippe meine kleinen Runden im für uns abgetrennten Bereich des Ladens drehte, zauberte die Verkäuferin immer weitere Modelle hervor. Und als ich still jubilierte, weil es endlich eine Entscheidung gab (mit der ich noch dazu leben konnte), holte die Verkäuferin zu ihrem letzten Schlag aus – dem Ranzen-Führerschein. Weitere 30 lange Minuten erklärte sie den beiden stolzen Vorschülerinnen jeden Reflektor und Reißverschluss. Als dann noch Fotos für den dazugehörigen Ausweis erstellt wurden und sich die Verkäuferin gleichermaßen fröhlich wie entspannt entschuldigte, der Drucker zicke manchmal herum und müsse neu gestartet werden, überlegte ich kurz, ob Sechsjährige wohl in der Lage sind, sich eine vierstellige Pin zu merken und den Bus zu nehmen.

Zum Glück zogen wir es irgendwie durch. Das wurde mir spätestens klar, als ich die Mädchen nach ihrem ersten Kindergartentag donnerstags abholte. Im Auto erzählten sie mir, dass alle anderen auch schon lange einen Schulranzen hätten. Der erste Tag sei etwas komisch gewesen, meinte die Ältere. Weil alle im Gruppenraum bleiben mussten und draußen so ein Flatterband gewesen sei. Im Rückspiegel sah ich, wie die Zwillingsschwester währenddessen ihren Kopf gegen den Sitz des kleinen Bruders lehnte und ihre Augen langsam zufielen.

Zwei Mal waren die Mädchen seitdem im Kindergarten. Von Rückkehr zur Normalität würde ich jetzt noch nicht sprechen, aber das ist ja auch wieder ein Prozess. Wie aufregend die ersten Tage waren, wird allein dadurch deutlich, wie früh sie abends ins Bett gehen wollen. Und ich habe mehr Zeit, das Chaos der vergangenen Wochen zu beseitigen und dabei auch mal wieder in die Ecken zu schauen. Als die Mädchen längst schliefen, kehrte ich die dicke Staubschicht unter den Kommoden hervor. Ich wollte gerade den Handstaubsauger zu Hilfe nehmen, da entdeckte ich eine kleine, weiße Perle. Ob sie nun aus einer Kiste oder einem Nasenloch kam, kann ich nicht sagen. Aber ich musste lächeln, als ich sie aufhob.