Pop-Literatur Wolfgang Welt: Der Schriftsteller, der sich verrückt schrieb

Wolfgang Welt gilt als einer der Urväter der Pop-Literatur. Zu großem Ruhm kam er leider nie. Das Heinrich-Heine-Institut würdigt ihn nun mit einer Ausstellung.

Foto: Andreas Böttcher

Düsseldorf. Wer dem Schriftsteller Wolfgang Welt (1952-2016) begegnet ist, sei es zufällig auf einer Busfahrt in seiner Heimatstadt Bochum, oder zum Interview nach einer Lesung, musste immer damit rechnen, selbst irgendwann in einer Erzählung oder in einem Roman von ihm zu landen. Denn alles, was Welt beobachtete, schrieb er exakt auf.

Detailversessenheit zeichnet seine Prosa aus. Die ist vor allem autobiografisch. Sie dreht sich um Popmusik, seine Tätigkeit als Musikkritiker, Sex oder die schizophrene Psychose, an der Welt erkrankt war. Lebensalltag also. Damit zählte der Autor, der fast sein ganzes Leben lang in Bochum verbrachte, zu den Urvätern der Pop-Literatur, auch wenn Welt selbst mit dieser Zuschreibung nur wenig anfangen konnte. Bis zum Suhrkamp Verlag hat Welt es jedenfalls damit geschafft. Doch zu großem Ruhm hat er es nie gebracht. Stattdessen waren es Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht, die in den 1990ern als Stars der Pop-Literatur gefeiert wurden.

Das Heinrich-Heine-Institut möchte mit der Ausstellung „Aber ich schrieb mich verrückt“ den bislang eher kleinen Kreis von Welt-Anhängern ausweiten. Dafür griffen die Kuratoren Martin Willems und Jan von Holtum hauptsächlich auf den Nachlass des Schriftstellers zurück, den das Heine-Institut seit 2017 beherbergt.

In Vitrinen finden sich Briefe, Plattenkritiken, unveröffentlichte Manuskripte und Foto-Porträts oder seine Schreibmaschine, zudem Medienstationen mit TV-Beiträgen, Lesungen oder Video-Kommentaren von Weggefährten - rund 100 Exponate insgesamt, arrangiert zu einer abwechslungsreichen Schau. Sie gliedert sich in sechs Sektionen, die sich an Welts Vita orientieren. Da sind die musikalischen und literarischen Einflüsse.

Schon als Zehnjährigen fasziniert Welt die Rock’n’Roll-Legende Buddy Holly. Über ihn schreibt Welt seinen ersten Artikel in der Ruhrgebietszeitschrift „Marabo“. 1979 war das. Das handschriftliche Manuskript samt Magazin sind zu sehen.

Welt avacniert zu einem renommierten Kulturjournalisten. Er arbeitet für wichtige Musikzeitschriften wie „Musikexpress“ oder „Sounds“. Seine Kritiken gestaltet Welt radikal subjektiv, mischt autobiografische Elemente hinein und formuliert klar, wen er schätzt und wen nicht. Obwohl er etwa nie ein Fan der Rolling Stones war, urteilt er über deren Platte „Tatoo You“: „Ich möchte mich aber jetzt den Herren Jagger und Co. zu Füßen legen“.

Herbert Grönemeyers Zweit-Album hingegen kommt weniger gut weg: „Ich wäre froh, wenn diese Scheibe (man könnte das b auch durch ein ß ersetzen), nicht ’Zwo’, sondern ’Die Letzte’ hieße.“ In der Schau kann man sich Zettel mit Welt’schen Verrissen und Hymnen aus einem Ordner reißen und mitnehmen. An einer Audiostation ertönen Songs aus Welts Lieblingsplatten—Liste, etwa „Cruise In It“ der US-amerikanischen Band „The Crickets“.

Ebenso begeistert sich Welt für Literatur. Zu seinen Lieblingsautoren zählen der preisgekrönte Hermann Lenz und Peter Handke. Sie werden auch wichtige Bezugsfiguren. So will Welt irgendwann nichts Geringeres, als von Suhrkamp verlegt zu werden. Handke wird dafür sorgen, dass er dieses Lebensziel erreichen wird. Seine Briefe an den Bochumer Autoren zeugen davon.

Letztlich ist Welts Lebensgeschichte von permanentem Scheitern geprägt. Er bricht sein Lehramtsstudium ab und verdingt sich als Bierfahrer oder Schallplattenverkäufer. Als Welt zur Crème de la Crème der deutschen Musikkritiker gehört, erkrankt er schwer. Er glaubt, J.R. Ewing zu sein, die Hauptfigur der TV-Serie „Dallas“. Diagnose: schizophrene Psychose mit manisch-depressivem Einschlag. Von nun an muss Welt regelmäßig Psychopharmaka einnehmen.

In seinen dunklen Stunden rettet ihn die Literatur. Und treibt ihn an. Er schreibt sich im wahrsten Sinne des Wortes verrückt. Und findet sein literarisches Thema: „Ich werde mein ganzes Leben aufschreiben“. Seine Romane „Peggy Sue“ oder „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ handeln zu 99 Prozent von dem, was Welt selbst erlebt. Eine Chronik des Scheiterns. Verfasst in einer einfachen, direkten, schnörkellosen Sprache. Nie selbstmitleidig, sondern nüchtern und distanziert.

Tragik und Komik gehen Hand in Hand. Ein unverwechselbarer Stil. Doch auch als er 2006 endlich bei Suhrkamp landet, bleibt die breite Resonanz aus. Der Pop-Literatur-Boom ist längst verebbt. Der Edel-Verlag hat ihn zu spät veröffentlicht. Bis zu seinem Tod verdiente Welt sein Geld als Nachtportier im Bochumer Schauspielhaus. Wer diesen Literaten noch nicht kennt, sollte die Ausstellung unbedingt besuchen.