Lesung im FFT Flucht ins Vertraute
Christoph Ransmayr las im Forum Freies Theater aus seinem Buch „Unter einem Zuckerhimmel“. In seinen Balladen und Gedichten verarbeitet er Erfahrungen aus vielen Reisen. Illustriert hat das neue Werk der Maler Anselm Kiefer.
Der österreichische Autor Christoph Ransmayr (69) versteht sich aufs Erzählen. Seinen Worten mit angenehm leichtem heimatlichen Akzent lauscht man gerne. Auch aus seiner stark rhythmisierten Prosa glaubt man diese Färbung herauszuhören. Im FFT stellte er jetzt als Veranstaltung der Heine-Buchhandlung im Gespräch mit Andreas Platthaus von der „FAZ“ sein Buch „Unter einem Zuckerhimmel“ vor, einen Band mit Balladen und Gedichten, illustriert von Anselm Kiefer. Kiefers einfühlsame Aquarelle wechselten einander auf einer Leinwand im Hintergrund ab.
Balladen sind lyrische Erzählungen. Aber Gedichte? Selbst in dieser Kurzform weiß Ransmayr Geschichten unterzubringen. Die ersten, die ihm selbst zu Ohren kamen, waren die Gesänge eines häuslichen Frauenchors, in dem seine Mutter und eine Magd alles sangen, was einem Kind erzählt werden sollte. Das hatte, wie er berichtete, bis heute Folgen. Sobald er seine Texte niedergeschrieben hat, liest er sie sich laut vor. Wenn er dabei stolpert, so fand er heraus, stimmt etwas nicht. Er überarbeitet den Text dann so lange, bis er ihn sich vorsingen kann.
Auch darüber hinaus wirkt seine Kindheit in die Gegenwart nach, zum Beispiel in Gestalt von Katzen. „Es ist selten, dass man so vorbehaltlos angenommen oder abgestoßen wird“, so erläuterte er den Eingangstext seiner Lesung. Platthaus hatte herausgefunden, dass Ransmayr bereits 2012 in seinem „Atlas eines ängstlichen Mannes“ eine Katze ins Spiel gebracht hatte, die ihr Unwesen mit einem Vogel treibt. Der Dichter bekannte sich dazu, dass er Motive aus früheren Büchern gern erneut verwendet, da sie ihn weiter verfolgen. „Wenn ich mich in Kriegs- oder gefährdeten Gebieten umsehe“, so gestand er, „finde ich bei Katzen immer Trost.“
Ransmayr ist viel gereist, seine Lebenshaltung ist die eines reflektierenden Touristen. Gerne geht er in die Höhe, in Gletscherregionen. Dort gelange man zurück in die Welt eines neolithischen Jägers, sagt er, es sei eine Region, „in der sich scheinbar nichts geändert hat“. Philosophierend ergänzt er: „In der Existenz unseres Planeten blitzt die Periode der Intelligenz nur kurz auf.“
120 Aquarelle zur freien Verwendung kamen per Post
Das sei ein Wunder: „Dieses als solches zu behandeln, wäre das Richtige. Stattdessen erleben wir Zerstörungswut. Wir werden daran sicherlich zugrunde gehen.“ Einen Vorgeschmack gab Ransmayr in seiner Erzählung „Tornado“. Dagegen nimmt sich seine „Ballade von der glücklichen Rückkehr“ fast versöhnlich aus. Als Tourist hat der Ich-Erzähler Gipfel erklommen, „bis an den Rand unserer eigenen Kraft“, und sehnt sich dann nach Hause zurück. Doch am Ende erscheint ihm die Flucht ins Vertraute noch schmerzhafter als der Aufbruch in die Ferne. Kiefers Illustrationen kamen bei der Lesung ein wenig zu kurz. Immerhin aber hatte Ransmayr ausführlich berichtet, wie die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Freund zustande kam. „Ich bin ein Mensch der Malerei, er ist ein Mensch der Dichtung“, so beschrieb er die gegenseitige Wertschätzung. Ransmayr hatte Kiefer seine Gedichte vor Veröffentlichung geschickt und derart lange nichts von ihm gehört, dass er Bedenken hatte, ob die Sendung auf Gegenliebe gestoßen sei. Eines Tages bekam er Post: zwei Schachteln mit insgesamt 120 Aquarellen zur freien Verwendung, allesamt bezogen auf die Texte von Ransmayr. Auf die Frage von Platthaus, ob die vielfach von Bleistift-Schrift durchzogenen Aquarelle neben der ästhetischen auch eine inhaltliche Komponente enthielten, antwortete Ransmayr so, wie wohl auch Kiefer geantwortet hätte: Die Aquarelle seien ein Appell an die Betrachter, sich ihren eigenen Reim auf die Dinge zu machen.