Jugendaustausch Deutsche mit Migrationshintergrund besuchen Israel

Dortmund · Zehn junge Menschen aus NRW brechen am Montag zu einem Jugendaustausch nach Israel auf. Das Besondere: Sie haben alle einen Migrationshintergrund.

Deniz Kahraman und Hanifa Ben-Meryem sind zwei der zehn Teilnehmer an der Reise. Foto: Rüger

Foto: rüger/Rüger

Wenn Deniz Kahraman Gespräche aufschnappt, während er seinem Vater in dessen Duisburger Gaststätte hilft, denkt er manchmal: „Es gibt sehr viele Bilder in den Köpfen, die wir abbauen müssen, weil die Bilder falsch sind.“ Und weil ihm diese Erklärung nicht reicht, schiebt er noch nach: „Den einen Stereotypen einer Kultur gibt es nicht.“

Am Montag macht sich der 23-Jährige auf den Weg, um wieder ein paar Bilder zurechtzurücken – erst in seinem eigenen Kopf, später dann auch in den Köpfen anderer Jugendlicher. Zusammen mit neun weiteren jungen Menschen zwischen 20 und 27 Jahren aus dem Ruhrgebiet und Westfalen wird er für einen einwöchigen Jugendaustausch nach Israel reisen. Erstmals richtet sich ein solches Angebot gezielt an Deutsche mit Migrationshintergrund. Kahraman ist Deutscher mit alevitischen, kurdischen und türkischen Wurzeln. Die Familien der meisten Mitreisenden stammen aus der Türkei, eine aus Marokko.

So unterschiedlich die deutsche Gruppe zusammengesetzt ist, so unterschiedlich wird auch ihr israelischer Gegenpart sein. Er besteht aus Pfadfindern, die die kulturelle Vielfalt des israelischen Staates widerspiegeln: Juden sind darunter, auch Drusen und Stämme, die sich vor allem um Flüchtlinge und junge jüdische Einwanderer kümmern. Eine Woche lang werden die deutsche und die israelische Gruppe zusammen wohnen, erst vor den Toren Jerusalems, später im Norden des Landes. Im März ist der Gegenbesuch in Dortmund geplant.

Gesellschaftliche Vielfalt spiegelt sich im Jugendaustausch

„Beide Gesellschaften sind zunehmend vielfältiger, multireligiöser, multilingualer“, sagt Katharina Schubert von ConAct, dem Koordinierungszentrum deutsch-israelischer Jugendaustausch, einer Einrichtung des Bundesfamilienministeriums. Von dort kommt das Geld für die Begegnung. Partner ist das Multikulturelle Forum, eine 1985 in Lünen gegründete Migrantenorganisation. Sie ist an mittlerweile acht Standorten, darunter auch Düsseldorf, auf den Feldern soziale Arbeit, Arbeitsmarkt, Erwachsenenbildung und politische Bildung aktiv. Die Idee des Israel-Projekts: Die wachsende gesellschaftliche Vielfalt soll sich auch im Jugendaustausch widerspiegeln. Im besten Fall geraten dabei tradierte Vorurteile ins Wanken.

Hanifa Ben-Meryem ist in Dortmund geboren. Ihre Eltern stammen aus Marokko. Nach ihrem Abitur hat die 22-Jährige an der Fachhochschule mit dem dualen Studiengang „Soziale Arbeit“ begonnen. Das auf den Schulhöfen so verbreitete Schimpfwort „Du Jude“ hat sie noch im Ohr. „Rückblickend weiß ich auch nicht, warum wir das einfach hingenommen haben.“ Jetzt hofft sie, dass ihr die Menschen in Israel so offen entgegenkommen, wie sie sich selbst fühlt. „Ich wünsche mir, dass sie mir ohne Vorurteile begegnen.“ Schließlich sei es doch an ihrer Generation, etwas zu verändern. „Wir können den ersten Schritt tun.“

Den Praxisteil ihres Studiums absolviert Ben-Meryem beim Multikulturellen Forum, dort hat sie sich auch für die Leitung von Workshops mit Kindern und Jugendlichen fortbilden lassen. Denn das war neben dem Migrationshintergrund die zweite Bedingung für die Teilnahme an der Israelreise: der ehrenamtliche oder berufliche Kontakt zu Kindern und Jugendlichen, um als Multiplikator wirken zu können.

Bevor in Israel die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht wird, soll es einen Abend zur Erinnerungskultur geben. Alle Teilnehmer werden dann Gelegenheit haben, den Erinnerungen und Geschichten Raum zu geben, die sich mit ihrer kulturellen Identität verbinden. Nicht, um unterschiedliche Diskriminierungs- oder Verfolgungserfahrungen zu vergleichen oder gar zu gewichten. Aber wer Respekt für seine eigenen Verletzungen erlebt, ist womöglich eher bereit, sich in die Erfahrungen anderer einzufühlen. Deniz Kahraman formuliert es so: „Man muss nicht nur für die eigenen Rechte geradestehen, sondern auch für die Rechte anderer.“