Herr Leyendecker, wo fühlen Sie sich emotional mehr zu Hause: in einem evangelischen oder einem katholischen Gottesdienst?
Evangelischer Kirchentag „Wir müssen uns darauf einstellen, Minderheitskirche zu sein“
Leichlingen · Hans Leyendecker über die Ökumene, Konservative beim Kirchentag und das Gemeinsame von Theologen und Journalisten.
In 100 Tagen beginnt der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund. Präsident ist diesmal der renommierte Investigativ-Journalist Hans Leyendecker. Zusammen mit Kirchentags-Generalsekretärin Julia Helmke und der westfälischen Präses Annette Kurschus stellt er heute das Programm für das fünftägige Glaubensfest mit rund 2000 Veranstaltungen vor.
Hans Leyendecker: Im evangelischen Gottesdienst. Offiziell bin ich noch nicht so lange evangelisch, aber praktisch seit 40 Jahren.
Viele, die wie Sie vom Katholizismus konvertiert sind, sagen, dass sie die katholische Prägung der Kindheit nicht ablegen können.
Leyendecker: Diese Prägung habe ich und ich finde auch die katholische Volksfrömmigkeit immer wieder schön. Aber die evangelische Freiheit ist mir sehr viel wichtiger. Die evangelische Kirche ist mein Zuhause.
Sind Sie mit Ihrer Biografie der geborene Ökumeniker?
Leyendecker: Nein, dazu muss man geduldiger sein. Egal, ob ich den Missbrauchskandal sehe oder die Diskussion um Eucharistie und Abendmahl, ich möchte nicht, dass mir irgendwelche Oberherren vorschreiben, was ich zu glauben habe. Mein Herr ist der Herr und niemand sonst. Dieses Amtsverständnis in der katholischen Kirche und all diese Klassiker vom Zölibat bis zur Frauenfrage sind mir sehr fremd. Und bei einigen katholischen Bischöfen habe ich das Gefühl, sie machen wie vor Jahrhunderten weiter in einer Blase, die draußen niemand mehr versteht.
Aber ist das denn bei den Evangelischen anders?
Leyendecker: Die Evangelischen haben andere Probleme. Wir müssen uns darauf einstellen, Minderheitskirche zu sein. Wir müssen diasporafähig werden. Da sehe ich manchmal das Problem, dass die Amtshandlungen Taufe, Trauung und Beerdigung nicht immer mit der größten Intensität vorbereitet werden. Und bei der Frage des Gottesdienstbesuches brauchen wir neue Formen und Versuche, auch jüngere Menschen zu gewinnen.
Dortmund ist der letzte Evangelische Kirchentag vor dem nächsten Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt. Bei aller ökumenischen Ungeduld: Wird es neue Vorstöße geben?
Leyendecker: Es wird viele Gespräche geben, Kardinal Marx wird kommen. Aber ich hatte schon den Ökumenischen Kirchentag 2010 so verstanden, dass in den konfessionsverschiedenen Ehen das gemeinsame Abendmahl eines Tages möglich sein sollte. Jetzt wird das wieder nicht so sein. Abendmahl und Eucharistie ist nicht das Thema, um das alles zu kreisen hat. Aber man muss manchmal auch den Mut haben zu sagen: Wir verstehen all eure Schwierigkeiten, aber wenn ihr da keinen Fortschritt hinbekommt und am Ende des Weges wieder Sanktionen stehen, dann reden wir über verschiedene Glaubensvorstellungen.
Als Journalist sind Sie vermutlich auch allergisch gegen Leerformeln. Ist der Kirchentag noch immer eine Zeitansage, wie er das seit Jahrzehnten behauptet?
Leyendecker: Als ich als Präsident anfing, habe ich erklärt, ich will Zeitansage nicht sagen. Aber mittlerweile habe ich gelernt, mit dem Begriff zu leben. Der Kirchentag, wenn er gelingt, soll ja etwas zu der Zeit sagen, in der er stattfindet. Und wenn er gut ist, ist er sogar Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen. Ich glaube, in Dortmund wird das Überwinden der Gräben und der Zusammenhalt das große Thema sein.
Sie sind SPD-Mitglied und der Kirchentag wird politisch eher im rot-grünen Spektrum verortet. Nach Ihrem erklärten Willen soll es in Dortmund mehr konservative Stimmen geben.
Leyendecker: Wir haben zum Beispiel sehr früh den Historiker Andreas Rödder gewonnen, einen der interessantesten Konservativen im Land. Konservative Stimmen gehören in den Kern des Kirchentags und der gesellschaftlichen Debatten. Sehr viele Themen, über die wir diskutieren, haben auch mit Bewahrung und Heimat zu tun.
Konservative Stimmen ja, aber keine AfD-Stimmen. Die Entscheidung, keine AfD-Vertreter auf Podien einzuladen, ist viel kritisiert worden. Stehen Sie noch dazu?
Leyendecker: Mehr denn je. Wir laden keine Repräsentanten von Parteien ein, sondern Menschen, die etwas zu sagen haben. Vor zwei Jahren in Berlin war die AfD noch eine andere. Inzwischen ist die Brandmauer nach rechts weg. Und haben wir jemals mit der NPD geredet?
Kann es im Umgang mit der AfD überhaupt so etwas wie Normalisierung geben?
Leyendecker: Der Umgang mit der AfD ist im Wesentlichen ein journalistisches Problem. Du kannst den lieben Gott einladen und es wird trotzdem die Frage kommen: Und was macht ihr mit der AfD? Im Bundestag haben die Parteien ja versucht, mit der AfD auf unterschiedliche Weise fertigzuwerden: einerseits durch Ignorieren, andererseits durch Angriff. Und eigentlich ist alles misslungen. Aber in der Politik stellt sich die Frage auch anders als beim Kirchentag. Für uns gibt es eine rote Linie bei Rassismus und Hetze. Und diese Linie wird von der AfD regelmäßig überschritten.
Das Motto für Dortmund lautet: „Was für ein Vertrauen“. Unter Vertrauensverlust leiden derzeit Politiker, Medien und Kirchen gleichermaßen. Blindes Vertrauen kann der Kirchentag ja kaum wollen. Wie ist Vertrauen möglich, ohne zu vertuschen?
Leyendecker: Für mich ist Gottvertrauen der Puls des christlichen Lebens. Das ist das, was uns hält. Und zum anderen braucht man den Versuch, wahrhaftig zu sein und die Verhältnisse zum Guten zu ändern. Das eint Theologen und Journalisten. Ein guter investigativer Journalist ist keiner, der Menschen jagt. Das Aufdecken ist ja nur die halbe Arbeit. Dahinter sollte immer der Versuch stehen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Deshalb glaube ich, dass wir bei allem Misstrauen in den vielen Echokammern, in denen wir leben, immer wieder versuchen müssen, uns den Tatsachen zu nähern. Und wenn wir über Vertrauen reden, gehört auch dazu klarzumachen, dass viele Dinge besser sind, als behauptet wird. Es ging in diesem Land noch keiner Generation besser als dieser.
Sehen Sie auch die Möglichkeit, durch den Kirchentag religiöses Vertrauen zu schaffen?
Leyendecker: Das ist eine der Stärken des Kirchentages. Er ist immer beides: Forum für gesellschaftliche Debatten und Glaubensfest. Mir war der Kirchentag als Fan, der ich war, immer besonders wichtig, weil ich über den Glauben reden und morgens in die Bibelarbeit gehen konnte. Ich bin früher nicht zu den großen Debatten gegangen.
Sie haben in Dortmund als Lokalreporter gearbeitet und sind BVB-Fan. Wie kann der Kirchentag in diese Stadt hineinwirken?
Leyendecker: In Berlin gibt es kein Problem, Hallen zu finden oder Plätze. Aber es gibt das Problem, dass der Kirchentag wahrgenommen wird. Das ist in Dortmund ganz anders. Und in der Nordstadt leben Menschen aus mehr als hundert Ländern, während die Südstadt eher bürgerlich ist. Eigentlich ein idealer Platz, weil wir dort ganz viel mit der Wirklichkeit im Land zu tun haben. Es wird viele Migrationsveranstaltungen geben. Meine Sorge ist nur, dass viele der Besucher, die aus NRW kommen, zu Hause schlafen. Wenn das so käme, könnten Atmosphäre und Charakter des Kirchentags etwas verloren gehen.
Wann wären Sie am 23. Juni ein zufriedener Kirchentagspräsident?
Leyendecker: Wenn alles geklappt hat. Entscheidend ist auf dem Platz.