Ausstellung 75 Jahre NRW – die bewegte Landesgeschichte

DÜSSELDORF · Ein Rundgang durch die Jubiläumsausstellung im Düsseldorfer Haus der Geschichte NRW.

Die „Zündapp Sport Combinette“, die Armando Rodrigues de Sá, der millionste Gastarbeiter, geschenkt bekam, steht im Haus der Geschichte NRW.

Foto: kurz

Im Haus der Geschichte in Bonn findet sich ein Trabi. Klar, das ergibt Sinn – das kultige DDR-Auto, die Wiedervereinigung und all das. Deutsche Geschichte eben. Doch es gibt noch ein Haus der Geschichte. Nämlich das Haus der Geschichte von Nordrhein-Westfalen. Und darin findet sich kein Trabi, aber ein Motorrad. Besser: das Originalmotorrad, das die meisten Menschen schon mal auf einem Foto gesehen haben. Das Motorrad, das der einmillionste Gastarbeiter 1964 geschenkt bekam.

Es ist eines von rund 300 Exponaten, die am Düsseldorfer Rheinufer die Geschichte unseres Bundeslandes erzählen. Eine Geschichte, die nicht minder bewegt verlief als die Geschichte Deutschlands als Ganzes. Erzählt wird sie nicht etwa chronologisch, sondern nach Themenbereichen. Klar, im ersten Raum geht es um den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber so wie diese Zeit quasi in ihren Auswirkungen in unsere Jetztzeit hineinragt, so ist dies auch mit den anderen Themen, die die Besucher freilich manchmal auch kopfschüttelnd zurücklassen: „Was, so war das mal?“. Da geht es um die Zuwanderung, die immer ein großes Thema für das bevölkerungsreichste Bundesland war. Da geht es um soziale Fragen, um den wirtschaftlichen Strukturwandel, um Umweltschmutz und Umweltschutz, um Religion, um Kultur und Medien.

Dieses erstaunte „Was, so war das mal?“ ergreift einen besonders eindringlich beim Betrachten eines Stückes Mauer. Diese Mauer wurde noch in den 1960er Jahren in einer Schule in Ringenberg, einem Ortsteil von Hamminkeln, errichtet: um Schülerinnen und Schüler evangelischen und katholischen Glaubens zu trennen: eigene Fahrradabstellplätze, eigene Toiletten. Ältere Menschen werden sich erinnern, dass das nicht nur in Hamminkeln so war, auch andernorts trennten Kreidestriche auf dem Schulhof die Konfessionen.

Ein Sprung in den Ausstellungsteil „Zuwanderung“: Das schon erwähnte ikonische Foto, das großformatig hinter besagtem Motorrad „Zündapp Sport Combinette“ steht und Armando Rodrigues de Sá zeigt. Sein ungläubig-zweifelnd-verwunderter Blick spricht Bände. Wie hat er sich wohl gefühlt, als er am 10. September 1964 am Bahnhof in Köln-Deutz per Lautsprecher ausgerufen wurde, um sich auf eben dieses Motorrad zu setzen, um das Blitzlichtgewitter der Presse über sich ergehen zu lassen? War er doch als der „millionste Gastarbeiter“ ausgemacht worden. 1078 Mark war das Gefährt wert. Angesichts des damaligen durchschnittlichen Bruttoverdienstes von 418 Mark in der Bundesrepublik ein feines Willkommensgeschenk. Der millionste Gastarbeiter starb übrigens 13 Jahre später in seinem Heimatland.

Viele Millionen Zugewanderte aber kamen um zu bleiben. Auch das erzählt die Ausstellung: Aussiedler, Spätaussiedler, Kosovo-Flüchtlinge oder von Cap Anamur im Chinesischen Meer gerettete Vietnamesen. Ihre Geschichte wird erzählt. Auch anhand von Bild- und Tondokumenten. Da sind die Worte eines syrischen Mädchens zu hören, das eindrucksvoll davon spricht, was Heimat bedeutet. In Syrien habe man ihre Gedanken vergewaltigt, „indem sie gesagt haben, Heimat ist ein Stein und Land und ein paar Kilometer auf dieser Erde“, Nein, Heimat sei doch vielmehr das, was bei ihr im Kopf stattfindet.

Es geht natürlich um den Strukturwandel, von dem NRW wie kein anderes Land betroffen war: Kohle und Stahl, Textilindustrie, die Krisen, die Herausforderungen werden gezeigt, die das mit sich brachte. Bis in die Gegenwart. Ein alter Webstuhl, ein Presslufthammer, mit dem die Steinkohle abgebaut wurde. Eine „Dieselkatze“, die die Bergleute durch die die Schächte bewegte. Vor dem großformatigen Foto des Braunkohletagebaus ist ein Teil eines Kirchenfensters (Foto: Andreas Lange) ausgestellt. Einst gehörte es zur Kirche St. Lambertus in Erkelenz-Immerath, die 2018 dem Tagebau Garzweiler weichen musste.

Die dunklen Seiten der Geschichte nehmen natürlich auch großen Raum ein, der Brandanschlag von Solingen, die vielen Tatorte der Roten Armee-Fraktion in NRW, allen voran die Entführung des später ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Köln. Der Nagelbombenanschlag des NSU auf der Keupstraße in Köln. Eindrucksvoll ist in einer Vitrine die gleich Anzahl der Nägel zusammengestellt, die auch in der 2004 gezündeten Nagelbombe enthalten waren.

Und natürlich kommt auch der Sport nicht zu kurz. Die gescheiterten Olympiabewerbungen als Minuspunkt, der in NRW stark beheimatete Behindertensport als Plus. Dass unser Land Fußballhochburg ist – vom Revier bis zum Rhein – wird gestreift, irgendwie elegant-nebenbei erzählt. Nicht als Jubelgeschichte, sondern anhand der sozialen Bedeutung des Fußballs. Fußball als Bewältigungsstrategie, am Beispiel eines Fans von Fortuna Düsseldorf. „Socke“, ein Obdachloser, der von „fifty fifty“ wieder in die Spur gebracht wurde, Fuß fasste. Neben seinem schrägen Flamingo-Plüschtier ist da ein Megaphon zu sehen. „Socke“ war Einpeitscher für die Gesänge der Fortuna-Fans. Sie vergaßen ihn nicht. Nach seinem Tod wurde im Stadion ein Banner entrollt: „Rest in power, Socke“.

Auch die Geschichte der Heinze-Frauen wird erzählt, die gegen ihren Arbeitgeber, ein Gelsenkirchener Fotolabor, bis vors Bundesarbeitsgericht zogen und gleichen Lohn wie die männlichen Kollegen erstritten. Klar, auch das Gladbecker Geiseldrama fehlt nicht, so wie viele andere Geschichten. Etwa die des berühmten Kunstprofessors Joseph Beuys, der im Einbaum über den Reim schipperte. Warum, das erfahren Sie im Haus der Geschichte NRW im Behrensbau am Düsseldorfer Rheinufer. Das selbst geschichtsträchtige Gebäude ist schon von weitem zu erkennen an dem schreiend leuchtenden NRW-Grün an der Fassade über dem Eingang.