Rockclub-Nachruf Das legendäre Haus der Jugend in Düsseldorf ist nur noch Geschichte

Düsseldorf · Die Mitarbeiter haben gepackt, die ersten Vorbereitungen für den Abriss laufen. Ein Nachruf auf eine legendäre Institution.

Noch steht das Haus der Jugend.

Foto: Ernst Frank

40 Jahre lang hat das legendäre Haus der (ewigen) Jugend allen Widrigkeiten getrotzt, mit denen ein Rockclub für gewöhnlich zu kämpfen hat: verstopfte Toiletten, betrunkene Gäste, Schlägereien, aufgebrachte Nachbarn, Polizeieinsätze, knappe Kassen. Doch nun ist es vorübergehend vorbei mit laut und lustig. Die Bagger kommen, und eine Abrissbirne baumelt bald über der berühmt-berüchtigten Location im Düsseldorfer Zooviertel.

Als das Haus der Jugend anno 1958 der Düsseldorfer Presse präsentiert wurde, schlug eine Bewirtungsquittung „für Tabakwaren und Spirituosen“ mit 5 Mark 80 zu Buche. Auch in den 62 Jahren danach wurde hier stets Großes für kleines Geld geleistet. Über eine Dekade lang diente der U-förmig angelegte Gebäudekomplex grauer Nachkriegsarchitektur als Erweiterung der gegenüberliegenden Schule (die später als Studieninstitut der Stadtverwaltung diente und bald für einen Wohnungsneubau von der Bildfläche verschwindet). In den 1970er Jahren übernahm die neue städtische Abteilung Jugendförderung die Immobilie und funktionierte sie in eine Freizeitstätte um, welche allerdings auch über zwei Arrestzellen zur Inobhutnahme böser Buben  verfügte. Bereits damals fanden sporadisch Konzerte in der ehemaligen Turnhalle statt, die inzwischen mit einer fest eingebauten Bühne samt Backstage darunter (die ehemaligen Zellen) aufwarten konnte. Es gab Auftritte von Krautrockern und Liedermachern. Nachdem Klaus Lage vor nur 26 zahlenden Zuschauern gastierte (noch ohne Mindestabstandsregeln), wurde die Halle auch an externe Veranstalter vermietet, die mit Punkrock-Acts wesentlich erfolgreicher agierten.

1984, zehn Jahre, bevor der Autor dieser Zeilen die Geschicke des ältesten Jugendamts-Gebäudes übernahm, erlebte er hier sein erstes Toten-Hosen-Konzert, seinerzeit noch im Vorprogramm der englischen Glamrocker The Adicts. Leichte bis mittlere Sachbeschädigungen sowie körperliche Auseinandersetzungen gehörten früher zum Alltag solcher Auftritte. Campino & Co. sprangen noch oft genug selber in die Menge, um Prügeleien zu schlichten. Sämtliche Fensterscheiben gingen zu Bruch, und der Laden war so kriminell überfüllt, dass der Weg zum Getränkestand genauso unpassierbar war wie der zur Toilette. Bekannt wurde das Haus auch durch die Familien-Flohmärkte und die sehr erfolgreichen Nachwuchswettbewerbe für junge Düsseldorfer Bands. Als 1985 die sehr edle JAB (Junge Aktionsbühne) im neuen Wilhelm-Marx-Haus gegründet wurde, ahnte noch niemand was von der späteren Fusion. Sieben Jahre lang zog diese Talentschmiede mitten in der City sensationelle Gigs ans Land, präsentierte extravagante Modenschauen, Lesungen und Theaterstücke. Die JAB war auch Geburtshelfer eines neuen Genres, das seinerzeit noch seinen Namen suchte und heutzutage unter dem Sammelbegriff Comedy firmiert. Tom Gerhardt, Helge Schneider, Herbert Knebels Affentheater und viele andere reüssierten dort.

Als die Jugendamtsverwaltung 1992 von der Altstadt hinter den Bahnhof umzog, musste auch die JAB weichen. Die finanzielle Spende der Toten Hosen sowie eine der vielen Eingebungen des agilen Jugendamtsleiters sorgten dafür, dass die inzwischen heimatlose Bühne überlebte und zwei Jahre später ins Haus der Jugend zog, um dem inzwischen etwas verwahrlosten Jugendclub neues Leben einzuhauchen. Etwas später folgten der Jugendring und sein Fortuna-Fanprojekt. Das ruhig gelegene Ensemble mit Grünflächen vor und hinter der seinerzeit schon ziemlich runtergerockten Location mit seinen kargen Seminarräumen, Probekellern, Büros und einem riesigen „Café“ samt überdimensionierter Theke avancierte zu einer begehrten Partylokalität. Was wurde dort nicht alles gefeiert: Karneval, Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen sowie Fortuna-Siege und andere Raritäten. Es gab ein frühes Konzert von Guido Horn. Während draußen leichter Schneefall die Landschaft verzauberte, regnete es drinnen. Der Schweiß Hunderter Menschen stieg auf, kondensierte und ging wieder nieder, während auf der Bühne der Meister und seine Band Vollgas gaben. Da damals auch noch Indoors geraucht werden durfte, bleibt mir die Megawolke ewig in Erinnerung, die direkt nach dem zweistündigen Dampfsauna-Konzert durch die geöffneten Eingangstüren in den Winterabend quoll.

Hier begannen Stars wie H-Blocks, Reamon und die Broilers

Die JAB war den Trends auch auf der Lacombletstraße immer noch eine Nasenlänge voraus. Und so begannen dort spätere Aufsteiger wie H-Blockx, Mouse On Mars, Reamon, Mia., Broilers, KopfEcho oder Rogers ihre ersten Schritte in Richtung Champions League. Auch unzählige Granden der Punkrock-Historie aus dem In- und Ausland sorgten für unvergessliche Konzerterlebnisse. Metal-Queen Doro Pesch startete hier ihre internationale Karriere. „Es war mir eine Ehre, hier noch einmal auftreten zu dürfen!“, sagt sie. „Ich verbinde viele super positive Erinnerungen mit dem Haus der Jugend. Mit meiner ersten Band Warlock wurde ich dort entdeckt und habe diesem Haus mit viel Geschichte und Geschichten die Treue gehalten. Schade, dass es jetzt verschwindet.“

Auch der seit langem in Austin, Texas lebende Veteran Jürgen Engler (Male, Die Krupps) pflegte eine besondere Beziehung zu diesem Ort: „Unsere frühen Krupps-Heimspiele fanden noch auf der JAB in der Altstadt statt. Und das HdJ war eben eine alte Kaschemme, weit draußen. Doch dann brauchten wir dringend einen Ersatz-Proberaum und uns wurde vom Haus der Jugend völlig unbürokratisch und blitzschnell geholfen.“ Hier lernte er auch als CityBeats-Juror seine spätere Ehefrau kennen.

Die Fassade bröckelt seit Langem, durch die bunten Gemälde vom Verein Farbfieber sieht das Haus von außen mittlerweile aus wie schlecht geschminkt. Die Leitungen sind morsch, auf den Toiletten gibt es nur kaltes Wasser, und das Parkett im Saal verfügt noch über knapp einen Millimeter Stärke. Nein, mit dem Wohlfühl-Ambiente heutiger Lounge-Bars hat dieser Ort nichts zu tun. Das Haus mag marode sein und den heutigen Ansprüchen nicht mehr entsprochen haben. Doch in der Geschichte der düsseldörflichen Popkultur gilt das HdJ gleich nach dem Ratinger Hof als einer der wichtigsten Plätze der vergangenen 50 Jahre. Viele junge Leute fühlten sich trotz oder gerade wegen der Patina wohl in diesem Haus mit der langen Geschichte und den vielen Jugenderinnerungen.

2020 sollte eigentlich der 35-jährige Geburtstag der JAB gefeiert werden, anlässlich dessen sich Düsseldorfer Ikonen wie Östro 430, Fehlfarben, Asmodi Bizarr oder Die Krupps zusammenrauften, um gemeinsam mit frischen Bands der letzten Jahre zum Ständchen aufzuspielen. Doch dann kam Anfang des Jahres völlig unerwartet der Abrissplan dazwischen. Die aktuelle JAB-Familie besteht nicht nur aus Projektleiterin Sabine Fleischer, Steffi Horst, Klaus Klöppel und JayJay, sondern aus vielen weiteren engagierten Crew-Mitgliedern, die wie immer flexibel auf die neue Situation reagierten. Zerknirscht machten sie aus den Jubiläums-Gigs Abriss-Konzerte. Und nun wollte jeder „part of  the party“ sein. Doch nach den ersten ausverkauften Feiern mit Doro und Cryssis beendete die Corona-Krise sämtliche weiteren Planungen.

Stattdessen hieß es: Mundschutz auf, packen, in ein Provisorium (auf dem Gatherweg) umziehen und alle Ideen für die Zukunft erstmal zu Grabe tragen. Es herrschte viel Unmut und Skepsis unter den Musikern. Mittlerweile hat sich ein Förderverein gegründet, bei dem viele namhafte Kulturschaffende Düsseldorfs Mitglied sind, um das sich in alle Richtungen weiterentwickelnde JAB-Team zu unterstützen. Und es wurde ein vergeblicher Brandbrief an OB Geisel geschrieben, mit vielen Unterschriften von Betroffenen, die in dieser ohnehin schweren Zeit für Kulturarbeitende an einer der letzten Location für Subkultur festhalten wollten. Zumal sie nicht daran glaubten, dass Abriss und Neubau in diesen Zeiten tatsächlich wie geplant durchgezogen werden würden. Doch die JAB ist ein überlebenswilliges und zähes Luder, das sich schon durch viele Krisen und Schließungsdrohungen laviert hat. Und wird auch im Neubau, der 2022 Richtfest feiern soll, wieder einen festen Platz haben.

Dennoch wird nichts mehr so sein wie vorher. Für 15 Millionen Euro wird ein L-förmiger Bau mit allem Pipapo geschaffen. Dazu gehören neben einer Veranstaltungshalle, einem Café und Verwaltungsräumen auch eine Kita mit 70 Plätzen sowie 19 Mikro-Appartements für Azubis. Es soll eine Schallschutzwand, überdachte Parkplätze sowie Stellplätze und Ladestationen für E-Fahrzeuge geben. Die Dächer werden intensiv begrünt. Auch eine Photovoltaikanlage zur Eigenstromversorgung sowie Insektenhotels sind vorgesehen. Wer sein Nostalgie-Bedürfnis noch mal stillen will, sollte sich beeilen, um einen Blick auf das alte Haus zu werfen. Die Abrissvorbereitungen sind bereits im Gange.

Unser Autor leitete die JAB von 1986 bis 2008, davon 14 Jahre auf der Lacombletstraße. Er ist genau so alt wie das Haus der Jugend. Ein Abrissantrag für ihn liegt bislang noch nicht vor, vorsichtshalber wechselt er aber Ende 2020 in den Ruhestand.