Ilaria Lanzino inszeniert „Nabucco“ an der Rheinoper Tyrannen ändern sich nicht über Nacht

Düsseldorf · Die nächste Premiere der Düsseldorfer Rheinoper gilt Verdis „Nabucco“. Die Regisseurin Ilaria Lanzino glaubt, dass das Werk eine Art Wiederauferstehung für den Komponisten war.

Die Regisseurin Ilaria Lanzino glaubt, dass das Werk „Nabucco“ eine Art Wiederauferstehung für den Komponisten war.

Foto: DOR/Daniel Senzek

Ihr erster Gedanke, als die Rheinoper ihr die Regie zu „Nabucco“ antrug? Blitzschnelle Antwort von Ilaria Lanzino: „Gott sei Dank mache ich das nicht in meinem Heimatland Italien! Dort ist das eine richtig krasse Geschichte.“ Eine Art Heiligtum auch. Der wuchtige Freiheits-Chor in der Verdi-Oper gilt als Italiens heimliche Nationalhymne. Ilaria Lanzino missfällt, dass er häufig instrumentalisiert wurde, insbesondere von rechtspopulistischen Strömungen. „Ein Grund, weshalb ich mich dem Werk zunächst ein bisschen verweigert habe“, sagt sie. „Es hat aber auch einen unfassbaren emotionalen und kulturellen Wert.“

Die Regisseurin beleuchtet den Hintergrund des Komponisten. „Das Stück war eine Wiederauferstehung für Giuseppe Verdi. Binnen weniger Monate waren seine Frau und seine Kinder gestorben. Zuvor hatte er schlechte Kritiken bekommen, man sprach ihm die Eignung als Komponist ab.“ Aus Frust habe Verdi viele dürftige Texte gelesen. Aber auch einen, der ihn zu einer neuen Oper inspirierte: „Va, pensiero“, einen glühenden Appell an die Freiheit. „Man spürt in der Musik, dass da ein Mann um sein berufliches und privates Überleben kämpft“, sagt sie. Die Handlung ist verstörend aktuell. Der babylonische Schreckensherrscher Nabucco überfällt Jerusalem und überzieht das hebräische Volk mit unsagbarem Leid. „Italien führte in jener Zeit mehrfach Krieg gegen die Österreicher“, erläutert sie. „Sie wurden als böse Babylonier interpretiert und dienten bei jedem Konflikt als Feindbild.“

Ilaria Lanzino, bekannt dafür, Stücke gern gegen den Strich zu bürsten, nimmt in ihrem Nabucco einen anderen Weg. „Bei mir lassen sich die Guten und die Bösen nicht eindeutig zuordnen. Ich bin gegen eine dialektische Festlegung, man kann auch so eine verständliche Botschaft senden.“ Die Fokussierung auf das Schicksal der Hebräer ärgert sie. „Und was soll der plötzliche Sinneswandel von Nabucco im vierten Akt?“, wettert sie. „Das darf man ihm nicht durchgehen lassen. Ein Tyrann, der sein Leben damit verbracht hat, andere zu vernichten, ändert sich nicht über Nacht.“

Mit 15 Jahren begann Ilaria Lanzino in Chören zu singen

Wie also rückt sie die Dinge zurecht? In ihrem „Nabucco“ ist der Freiheitschor nicht der Gesang der unterdrückten Hebräer. Auch die Babylonier dürfen ihre Stimme erheben. „Wenn ich etwas ändere, ist es nie beliebig“, stellt die Regisseurin klar. „Ich ignoriere den Text nicht, ich füge ihn nur in einen neuen Kontext ein. Beim Einschlafen will ich ein ruhiges Gewissen haben. Ob es dem Publikum dann gefällt, steht nicht mehr in meiner Macht.“

Sie sei eine leidenschaftliche Freundin von Geschichten. „Wer in eine meiner Inszenierungen kommt, kann ihnen folgen, auch wenn sie nicht genau mit dem übereinstimmen, was der Librettist sich ausgedacht hat. Was ich dagegen hasse, ist posttraumatisches Regietheater.“ Sie streicht sich mit der Hand über die Stirn und zieht dabei eine Grimasse.

Ein Vergnügen, Ilaria Lanzino beim Sprechen und Gestikulieren zuzuschauen. Die zierliche Person sprüht vor Energie, redet in rasantem Tempo und ist dazu in hohem Maße politisch denkend. „Ich wache auf, höre Podcasts und lese Nachrichten“, sagt sie. „Von der italienischen Politik habe ich mich etwas abgewandt. Ich will ja endlich Deutsche werden, um hier wählen zu können. Längst sind alle Unterlagen eingereicht, aber ach, die Bürokratie…“.

Mit 15 Jahren begann Ilaria Lanzino in Chören zu singen und absolvierte in Lucca eine Gesangsausbildung. Eher aus Spaß, eine Karriere strebte sie nicht an. „Obwohl ich theatralisches Talent besitze“, sagt sie. Da sie viele Arien auswendig kann, springt sie in ihren Inszenierungen schon mal für jemanden ein. Oder sie teilt ihre Regieanweisungen singend mit. Zunächst aber studierte sie Germanistik in Venedig. Ins Deutsche ist sie ganz vernarrt. „Die Sonne geht auf, wenn ich Deutsch höre. Eine superkreative Sprache voller Klarheit und Klang.“ Ein Praktikum im Studium weckte in ihr die Lust, sich der Regie zuzuwenden: „Ich war entflammt für deutsche Dramen und suchte eine Brücke von der Literatur zur Musik.“ Das klappte wie am Schnürchen. Nach Hospitanzen und Regieassistenzen, beides an der Rheinoper, vertraute man ihr bald die erste Regie an. Seit 13 Jahren arbeitet Ilaria Lanzino im deutschsprachigen Raum, glücklich, die zwei Welten verbinden zu können, die sie liebt.