Integration Kampagne #IchDuWirNRW: „Erst einmal muss man geben“
Düsseldorf · Der Düsseldorfer Unternehmer Samir Kharkan gehört zu den Menschen, die sich für die Kampagne #IchDuWirNRW zur Verfügung gestellt haben – aus Überzeugung.
Von der 16. Etage des NRW-Integrationsministeriums schweift der Blick über den Düsseldorfer Landtag in Richtung Medienhafen. Dort hat die Firma Scalue von Samir Kharkan ihren Sitz. Im Oktober 2017 hat sich der Diplom-Kaufmann damit selbstständig gemacht. Das Software-Unternehmen unterstützt Firmen im Bereich Einkauf. Der aktuelle berufliche Erfolg des 33-Jährigen ist der vorläufige Schlusspunkt einer 25-jährigen Integrationsgeschichte.
Kharkan kennt aber auch die andere Seite: die Ängste, die Ungewissheit, das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen. Acht Jahre ist er alt, als sich seine Eltern, der Vater Wirtschaftsjournalist, die Mutter Physikerin, von einem Tag auf den anderen entschließen, mit ihren vier Kindern aus der afghanischen Hauptstadt Kabul zu fliehen. Den Ausschlag gibt ein Raketeneinschlag direkt vor der Haustür. Es ist die Zeit des afghanischen Bürgerkriegs nach dem Abzug der Sowjets.
Alle vier Brüder
schaffen das Abitur
Die Flucht endet in Deutschland, die Familie landet nach vielen Umzügen schließlich in Leverkusen. Der Erwartungsdruck der Eltern ist groß: „Sie wollten unbedingt, dass ich Arzt werde“, erzählt Kharkan. Er schafft wie seine drei Brüder das Abitur, studiert dann aber nicht Medizin, sondern BWL. Drei Jahre arbeitet er für eine Unternehmensberatung, später für eine Software-Firma, ehe der Sprung in die Selbstständigkeit folgt. Weil die eigene Firma schnell wächst, wird sie im Sommer 2018 in eine GmbH umgewandelt.
Das klingt geradlinig und nach einem Bilderbuch-Beispiel für gelungene Integration. Aber wenn der Jungunternehmer von der Zeit vor 2009 erzählt, als er die deutsche Staatsbürgerschaft erlangte, wird deutlich, wie oft diese Geschichte auf Messers Schneide stand in den Jahren der nur kurzfristig erteilten Duldung und fortwährenden Ungewissheit. „In dieser Zeit hat man auch bei sich selbst nicht wirklich zugelassen, Wurzeln zu schlagen“, sagt er.
Wenn Samir Kharkan sich heute vorstellt, sagt er gerne: „Ich komme aus Afghanistan, meine Frau aus Litauen und unsere beiden Kinder sind Düsseldorfer.“ Dass er diese Wurzeln inzwischen doch schlagen konnte, verbindet er auch mit der Unterstützung einzelner prägender Personen: der Grundschullehrerin, die ihn gezielt förderte; den Nachbarn in Leverkusen-Hitdorf und ihrem Satz: „Du musst doppelt so gut sein wie ein Deutscher“; dem strengen Lehrer auf der Gesamtschule, der es schaffte, den chaotischen Jugendlichen in dessen schwierigsten Jahren in den Griff zu bekommen. „Ich habe das Glück gehabt, enorm wertvolle Menschen zu treffen, die mich nach vorne gebracht haben.“ Kharkans daraus abgeleitete Lebensphilosophie: „Wenn man Gutes tut, kommt auch irgendwann positive Energie zurück. Aber erst einmal muss man geben.“
Sein Leben hätte auch einen ganz anderen Verlauf nehmen können. Anfang der 2000er Jahre, in der Phase der größten Ungewissheit, stehen die Eltern kurz davor, Deutschland wieder zu verlassen. Der junge Samir schließt schon mit der vertrauten Welt in Deutschland und seinem Freundeskreis ab, als doch die nächste Duldung erfolgt. Das ist für ihn der Moment, in dem er spürt, wie wichtig ihm dieses Land inzwischen geworden ist. „Ich bin nach wie vor stolz, vieles aus Afghanistan mitgenommen zu haben, aber eben auch aus Deutschland. Und diese Kombination macht mich in der Geschäftswelt extrem stark.“
Vom Reichtum dieser unterschiedlichen Einflüsse erzählt Kharkan auch im Rahmen der Kampagne #IchDuWirNRW des NRW-Integrationsministeriums, die Anfang Dezember gestartet ist. Er wurde dafür noch gezielt angesprochen. Aber das ändert sich gerade. „Wir freuen uns vor allem, dass sich jetzt schon einige aufgrund der Kampagne selbstständig melden“, sagt Minister Joachim Stamp (FDP). Eine philippinische Nachtschwester, die ihm gerade erst im Krankenhaus begegnet ist, macht jetzt auch mit.
„Diese Geschichten gehören alle zu Nordrhein-Westfalen und uns war es wichtig, sie vorzustellen“, sagt Integrations-Staatssekretärin Serap Güler (CDU). Zuletzt sei fast nur noch negativ über das Thema Einwanderung gesprochen worden. Die langfristig konzipierte Kampagne soll positive Vorbilder dagegensetzen, aber auch den Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft anstoßen. Schilderungen von Diskriminierungserfahrungen sind nicht ausgeklammert. „Wir wollen mit Veranstaltungsformaten auch dorthin gehen, wo man es nicht unbedingt erwartet“, kündigt Stamp an. Später soll es noch gesonderte Initiativen geben, um mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte für den öffentlichen Dienst zu gewinnen und für das Thema Einbürgerung zu werben.
Das Bedürfnis, die eigene Geschichte als Korrektiv zum bestimmenden Tonfall der öffentlichen Debatte zu erzählen, und zwar unentgeltlich, scheint jedenfalls groß zu sein. Absagen hat es laut Serap Güler nicht gegeben. Auch Samir Kharkan hat mit seiner Antwort nach eigener Schilderung nicht gezögert: „Ich bin dabei.“