Kirchenaustritt Kirchenaustritt soll auch rückwirkend gelten
Krefeld/Köln · Der Bearbeitungsstau bei den Amtsgerichten hat auch eine länger andauernde Kirchensteuerpflicht zur Folge. Dagegen gibt es rechtliche Gegenwehr.
Egal, bei welchem Amtsgericht man es derzeit versucht, in Krefeld, Düsseldorf oder Wuppertal - wer einen Termin für einen Kirchenaustritt bekommen will und sich dafür online durch die Justizseiten klickt, sieht auf dem virtuellen Kalender immer nur rot. Kein Termin frei bis Ende Juni. Doch ohne Termin bleibt man weiter Kirchenmitglied. Auf der Internetseite der Gerichte heißt es: „Eine Austrittserklärung in einfacher Schriftform ist nicht möglich. Sie kann nur höchstpersönlich abgegeben werden.“ Und dafür braucht man einen Termin. Es wird zwar noch darauf hingewiesen, dass man auch zum Notar gehen kann, der die Erklärung dann an das Amtsgericht weiterleitet. Doch das sei mit zusätzlichen Kosten verbunden. Der Kirchenaustritt beim Gericht kostet 30 Euro.
Ein Krefelder Ehepaar will die lange Wartezeit nun nicht länger hinnehmen. Denn jeder Monat, den die beiden gegen ihren Willen in der Kirche verbleiben müssen, eben weil der Austritt nicht möglich ist, kostet sie Kirchensteuer - für eine Organisation, die sie gerade nicht mehr unterstützen wollen.
Musterverfahren mit Austrittswilligen aus Krefeld
Der seit Monaten auch wegen Corona wachsende Stau nicht realisierter Kirchenaustritte veranlasst das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) zu dieser Forderung: Die Wirksamkeit des Kirchenaustritts soll rückwirkend mit dem Datum eintreten, ab dem der Austrittswillige dies gegenüber dem Amtsgericht kundtut.
Der Kölner Rechtsanwalt Eberhard Reinecke ist Beirat im ifw, das sich für staatliche Neutralität in Sachen Weltanschauung einsetzt. Er will das Krefelder Paar in einer Art Musterverfahren außergerichtlich, und wenn es sein muss, auch gerichtlich vertreten. Wie die Argumentation des Juristen funktioniert, geht aus dem vom ifw entwickelten Austrittsformular hervor, in dem es heißt: „Ich beantrage, dass Sie mir den Eingang dieses Schreibens mit Datum bestätigen und mich zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie mir die Abgabe der Erklärung ermöglichen, hinsichtlich der Kirchensteuer so behandeln, als ob ich schon jetzt rechtswirksam ausgetreten wäre.“
Rechtsanwalt Reinecke sagt: „Noch gibt es keine Entscheidung in einer solchen Angelegenheit. Doch das Bundesverfassungsgericht hat schon früher gesagt, dass Kirchenmitgliedschaft etwas Freiwilliges sein muss. Und das muss sich dann ebenso auf den Annex, die Kirchensteuerpflicht, beziehen.“ Auch sonst gelte in Verfahrensordnungen, dass Verfahrensschritte zurückwirken auf den Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht. Zum Beispiel, wenn eine Verjährung am 31.12. abläuft, genüge es, dass die Klage bis zu diesem Datum eingereicht wird. Daher ist Reinecke zuversichtlich, dass auch der bei Gericht beantragte Kirchenaustritt so behandelt wird.
„Nirgendwo kommt man so leicht rein und so schwer wieder raus“
Im Vergleich zu anderen Mitgliedschaften verlange der Kirchenaustritt einen unzumutbaren „Hürdenlauf“, kritisiert Reinecke. „Nirgendwo kommt man so leicht rein und so schwer wieder raus. Man tritt nicht etwa durch eine schlichte Erklärung gegenüber dem Verein, in den einen die Eltern angemeldet haben, aus. Wirksam ist der Austritt nur, wenn er gegenüber staatlichen Behörden erklärt wird. Und dort auch nicht etwa mit einfachem Schreiben, sondern mit einem persönlichen Besuch. Es werden auch noch Gebühren erhoben - und zwar vom Austretenden, nicht etwa von der Kirche, für die eigentlich diese Dienstleistung des Staates erfolgt.“
Reinecke argumentiert nun: „Spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem ich schriftlich gegenüber dem Amtsgericht meinen Austritt erklärt habe, verwandelt sich meine Mitgliedschaft in der Kirche in eine unzulässige Zwangsmitgliedschaft - wenn ich eben tatsächlich nicht jederzeit aus der Kirche austreten kann.“
Und wie will er nun im Fall mit den Krefelder Mandanten vorgehen, deren Musterverfahren das ifw finanziell unterstützen will? Das Verfahren, so sagt er, könne am Ende in zwei Prozesse münden. Zunächst, falls das Amtsgericht den Wunsch um rückwirkend wirksamen Kirchenaustritt nicht berücksichtigt, gebe es eine Beschwerde gegen eben diese Entscheidung. Und beim Finanzamt müsste man sich gegen eine weiter berechnete Kirchensteuer wehren. Auch gerichtlich und gegebenenfalls sogar durch weitere Gerichtsinstanzen.
Übrigens: Auf der Internetseite der NRW-Justiz zum Kirchenaustritt finden sich noch diese denkwürdigen Sätze: „Das Amtsgericht ist nur für den Austritt zuständig. Für einen Eintritt müssen Sie sich mit der jeweiligen Kirchengemeinde oder Religionsgemeinschaft in Verbindung setzen.“