Kardinal Woelki, was ist für Sie der Sinn und die Aufgabe von Kirche in einer Jahrhundert-Pandemie. Wie können Sie noch nahe an den Menschen sein?
Kölner Kardinal im Gespräch Kardinal Woelki: „Wir müssen als Kirche auf die Zeichen der Zeit achten“
Interview | Wuppertal · Der Kölner Kardinal Woelki spricht mit uns über verloren gegangenes Vertrauen und Wege, dieses zurückzugewinnen.
Kardinal Woelki: Gerade in diesen bedrückenden Zeiten kann die Osterhoffnung auf die Auferstehung der Toten Trost spenden. Wir hoffen ja, dass Abschied und Trennung nur vorläufig sind. Wir können also dem Totengedenken und dem gemeinsamen Gebet Raum geben und für Betroffene von der Pandemie da sein. Eine große Rolle spielen dabei Angebote wie Trauercafés in den Gemeinden vor Ort oder von Hospizvereinen. Sie leisten eine wichtige Arbeit, gerade in dieser Situation. Nicht zuletzt kann die Kirche derzeit bei drängenden Fragen am Lebensende wichtige Orientierung bieten, zum Beispiel dazu, wie menschenwürdiges Leben und Sterben aussehen kann.
Sie haben durch die Handhabe des neuen Gutachtens zu Missbrauch in der katholischen Kirche ganz offenbar auch persönlich viel Vertrauen verloren, haben innerkirchlich Gegenwind gespürt, müssen auch eine überbordende Zahl von Austritten hinnehmen. Verstehen Sie diese Menschen? Was entgegnen Sie deren Wut?
Woelki: Mir ist schmerzlich bewusst, dass in den vergangenen Monaten Vertrauen verloren gegangen ist. Ich war aber einer der ersten, die einen Betroffenenbeirat eingerichtet und eine unabhängige Untersuchung mit Namensnennung in Auftrag gegeben haben und verfolge das Ziel konsequent weiter: Ich wollte und will weiterhin Aufklärung und Aufarbeitung. Nun liegt das zweite Gutachten vor und hat systemische, institutionelle und persönliche Verantwortlichkeiten benannt. Wir haben erste Konsequenzen vorgestellt und werden diesen Weg nun kontinuierlich weitergehen. Dieses Versprechen gegenüber den Betroffenen werde ich halten.
Welche Wege beschreiten Sie konkret, Kirche und Amtsträger zu rehabilitieren, was sind die konkreten Projekte, die Sie anstoßen, bis wann sollen diese Ziele messbar sein?
Woelki: Ich werde alles versuchen zu tun, damit die Kirche besser wird. Ich spreche viel mit Betroffenen und bemühe mich – so gut es in der Corona-Pandemie geht – mit den Gemeinden ins Gespräch zu kommen. Der Generalvikar hat nach Vorstellung des Gercke-Gutachtens einen 8-Punkte-Plan mit konkreten Schritten vorgestellt. Wichtigster Baustein ist die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission, die die notwendige weitere Aufarbeitung vorgibt. Die Rolle der Interventionsstelle werden wir ebenfalls weiter stärken.
Kardinal Woelki, Sie haben hier in Wuppertal eine Firmung gefeiert, Sie sind also nahe bei den Gläubigen. Wie muss sich die Kirche verändern, um mit dieser Nähe auch wieder mehr gesellschaftliche Bedeutung zu erlangen in einer Zeit, die eigentlich nach Orientierung schreit?
Woelki: Wir möchten eine Kirche sein, die einen „Glauben ermöglicht, der mit Freude gelebt, erfahren, gefeiert und bezeugt wird“. So hat es Papst Franziskus einmal formuliert. So kann die Kirche wieder anziehender auf die Menschen unserer Zeit wirken und sie für unseren Glauben begeistern. Wir müssen als Kirche immer wieder auf die Zeichen der Zeit achten, sie im Licht des Evangeliums deuten und daraus lernen. Das kann aber nur im ständigen Dialog mit vielen Menschen auf unterschiedlichen Ebenen geschehen.